Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Fritz Jurmann · 02. Feb 2019 · Musik

Beethovens „Fidelio“ am Kornmarkt: Solide gemachte Provinztheater-Produktion mit Luft nach oben

Da hat diesmal zu viel gefehlt, als dass die am Freitagabend mit Spannung erwartete jährliche Opern-Koproduktion des Landestheaters mit dem Symphonieorchester Vorarlberg zum großen Wurf hätte werden können. Vielleicht wird jetzt auch klar, warum man Beethovens eher undankbare einzige Oper 30 Jahre lang vor sich hergeschoben und bisher noch niemals in dieser Reihe aufgeführt hat.

Da ist ein Dirigent, Karsten Januschke, der Beethovens klassisch stylischen „Fidelio“ im Tempo ziemlich durchpeitscht und die Balance zwischen Bühne und Orchester niemals wirklich in den Griff kriegt, und mit Henry Arnold eine etwas unentschlossene Regie, die den bekannten Schwächen des Librettos nichts wirklich entgegenzusetzen hatte, um die Sache spannender und ergreifender zu gestalten. Da ist ein Ensemble mit vielen respektablen gesanglichen Leistungen, das aber großteils die hohe Schule der gepflegten Artikulation vermissen lässt und deshalb vielfach unverständlich bleibt, und ein gut gebrieftes Orchester, das freilich erst nach anfänglicher Premierennervosität zu gewohnter Form findet.  

Sternstunde für den Bregenzer Festspielchor

Einzig der von Benjamin Lack in einem tollen Kraftakt einstudierte, gerade mal 24-köpfige Bregenzer Festspielchor als dritter Koproduktions-Partner macht diesen Abend für sich und das Publikum zur Sternstunde. Die mit Klangpower wie ein Sturmwind daher fahrende, auch choreografisch unglaublich quicke Truppe beschert dieser Produktion immerhin den bleibenden Eindruck eines umwerfenden Jubel-Finales. Alles zusammen ist das aber doch zu wenig, fand auch das Premierenpublikum im Theater am Kornmarkt und spendete den Protagonisten und ihrem Leading Team nicht mehr als höflichen Beifall. Unterm Strich bleibt der Eindruck einer solide gestrickten, bemühten Provinztheater-Produktion mit Luft nach oben und ohne den erwarteten „Wow“-Effekt – mehr war diesmal nicht drin.
Der Plot dieser so genannten „Freiheitsoper“ dürfte den meisten Besuchern bekannt gewesen sein, nicht zuletzt durch David Pountneys geniale Umsetzung 1995/96 auf der Seebühne. Der zu Unrecht aus politischen Gründen inhaftierte Florestan wird durch eine List seiner mutigen Gattin Leonore befreit, die sich unter dem Namen Fidelio ins Staatsgefängnis eingeschlichen hat, der Bösling Pizarro wird vom auftauchenden Minister zur Rechenschaft gezogen. Dass dieser Don Fernando (der großartige Thomas Stimmel) als erhabener „Deus ex machina“ nun nicht mehr wie in der Generalprobe als blonder Conchita-Verschnitt auftritt, sondern diesmal im knallgelben Pludergewand als Orientale, gibt der vieldiskutierten Konfliktlösung in dieser Oper eine neue, ungewohnte Deutung.

Neue Dialoge über Lautsprecher

Jedenfalls: Das Gute hat, wie es sich gehört, über das Unrecht gesiegt – Friede,  Freude, Eierkuchen wie schon zu Beethovens Zeiten, damals freilich noch unter den hehren Vorgaben der französischen Revolution. Regisseur Henry Arnold wollte dabei nicht so sehr das bei diesem Sujet naheliegende Flüchtlingsthema erörtern, sondern durch eine Neuinterpretation der gesprochenen deutschen Texte die Begriffe Freiheit und Unfreiheit in einer unserer Zeit entsprechenden Weise herausschälen.
Ob die alternativ zu den Dialogen der Sänger auf der Bühne über Lautsprecher zugespielten Texte dazu beitragen, die die Stimmungslage, Denkweise und Erwartungen der Protagonisten oft im Flüsterton vermitteln, ist eher fraglich, weil es etwas aufgesetzt wirkt und dem Geschehen seine Intimität nimmt. Diese wiederum wird mit einfachen, oft durchscheinenden mobilen Bühnenversatzstücken als praktikabel variables Interieur (Kathrin Hauer) hergestellt: eine Atmosphäre der Beklemmung in einem Spitzelstaat, in dem jeder jeden beobachtet. Videoproduktionen (Daniel Dodd-Ellis) mit rasenden Programmier-Codes, das ständige „Wischen“ der Akteure über imaginäre Bildschirme und entsprechende Lichteffekte bei Szenenwechseln (Arndt Rössler) enden allerdings mit dem ersten Akt: ein Bruch mit einer interessanten Interpretations-Idee.

Er weiß, wie Personenregie geht

Das große Verdienst von Regisseur Arnold bei dieser Geschichte ist seine langjährige Erfahrung im Umgang mit Personenregie. Er weiß, wie Leute vernünftig, unaufgesetzt und auch konform zur Musik auf einer Bühne zu agieren haben, wie man sie gruppiert, um Konflikte und Emotionen deutlich zu machen. Und er hat auch der jungen Truppe der Sängerinnen und Sänger des Bregenzer Festspielchores beigebracht, wie man locker choreografisch packende Menschenbilder gestalten und dabei noch so toll singen kann, dass einem das Herz aufgeht. Wobei es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass die laut Libretto ausgemergelten männlichen Gefangenen bei ihrem berühmten Chor „O welche Lust“ noch so gut bei Stimme sind.
Karsten Januschke hält am Pult sein Versprechen ein, Beethovens meist kraftvolle, oft heroisch-pathetische Musik in der heute geläufigen dritten Fassung von 1814 eher „mozartisch“ anzulegen, kammermusikalisch, ähnlich wie bei seinem erfolgreichen Opern-Debüt hier vor einem Jahr mit Donizettis „Don Pasquale“. Der ihm bekannte Raum des Kornmarkttheaters gibt das ja auch vor mit seiner problematisch trockenen Akustik, die im Graben wie auf der Bühne nicht das Geringste an Ungenauigkeit in Rhythmik, Klangbalance oder Intonation verzeiht. Das funktioniert im Austausch mit den sehr motiviert und klangschön aufspielenden Musikern vom SOV insgesamt auch wirklich gut. Die fehlende Verständlichkeit der Sänger nimmt man mit der Zeit einfach als gegeben hin. Und überhaupt: Deutsche Übertitel in einer deutschen Oper wären wohl eine Bankrott-Erklärung für das Ensemble gewesen.

Respektables Sängerensemble

Zu einer ersten musikalischen Bewährungsprobe für das international besetzte Ensemble, das sich Dirigent und Regisseur für diese Produktion in Castings aussuchen durften, wird das Quartett im ersten Akt, „Mir ist so wunderbar“, das trotz seines sehr gemäßigten Tempos nie an Spannung verliert. Und schon hier, im eng geflochtenen kanonischen Miteinander der Stimmen, schält sich die Trägerin der Titelrolle heraus, die Münchner Sopranistin Susanne Bernhard als Leonore. Wenn man ihrer fraulichen Statur auch nie die Verkleidung als Mann glauben will, überzeugt sie stimmlich und darstellerisch respektabel mit einer breiten Palette ihres Könnens, von der flammend dramatischen Arie „Abscheulicher, wo eilst du hin?“ bis zum innig lyrischen Liebesduett mit dem befreiten Florestan im Finale. Hochachtung für die Bewältigung dieses Rollendebüts!
Leider nicht ebenbürtig agiert ihr Partner, der hellstimmige Deutsche Wolfram Igor Derntl als Florestan. Seine Auftrittsarie „Gott! Welch Dunkel hier“ bewältigt er noch respektabel, am Ende jedoch verlassen ihn seine stimmlichen Kräfte und er wird zu dem, was man auf gut Wienerisch einen „Krawatteltenor“ mit enger Höhe nennt. Dagegen ist der Deutsche Raphael Sigling als kräftig gebaute Type wie geschaffen für die Rolle des Gefängniswärters Rocco, ein positiv gezeichneter Bulle mit dem Herzen am rechten Fleck und einem Bariton, der dies mit Wärme und Klarheit etwa in seiner Arie „Hat man nicht auch Gold beineben“ auch vermittelt. Sportiv und aggressiv in Stimme und Auftreten und manchmal auch etwas überzogen (in der Arie „Ha! Welche ein Augenblick!“) gibt sich der Südkoreaner Adam Kim als Don Pizarro, weniger wäre da mehr gewesen. Sympathisch ins Ensemble fügen sich die Ungarin Réka Kristóf als Marzelline und der Engländer Thomas Elwin als Jaquino. 

„Fidelio“ von Ludwig van Beethoven
Weitere Vorstellungen:
Di, 5., Do, 7., Sa, 9., Fr, 15., Mi, 20., Fr, 22. Februar, jeweils 19 Uhr
So, 3., So, 17., So, 24. Februar, jeweils 16 Uhr
Vorarlberger Landestheater, Bregenz 
Einführung jeweils 19 Uhr bzw. 15.30 Uhr
Karten unter ticket@landestheater.org, www.landestheater.org