Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 22. Okt 2011 · Musik

Aus der Fülle immer wieder Neues schöpfen – ein Kammermusikabend, der glücklich machte

Die „pforte-Konzerte“ mit MusikerInnen rund um den Bratschisten Klaus Christa versprechen seit Jahren nachhaltige kammermusikalische Werkdeutungen. Musiziert wird in einem positiven Geist und auf sehr hohem musikalischem Niveau. Die Abo-Reihe ist in Feldkirch längst ausverkauft, und es folgen immer mehr Musikbegeisterte der Einladung in das Frauenmuseum Hittisau. Dort gab es kürzlich die weithin unbekannte Komponistin Mélanie Bonis zu entdecken. Das erste Klavierquartett der französischen Komponistin ließ das dritte Klavierquartett von Johannes Brahms blass wirkend weit hinter sich.

Klaus Christa beschäftigt sich eingehend mit wenig oder gar nicht beachteten Kompositionen von Frauen. Immer wieder präsentiert er mit seinen EnsemblemusikerInnen herausragende Werke, die das Publikum ins Staunen versetzen. Aktuell war es das Klavierquartett von Mélanie Bonis. Das Gesamtwerk der französischen Komponistin findet erst in letzter Zeit wieder mehr Beachtung.

Geringschätzung der Frauen

Die Komponistin Mel Bonis (so lautete ihr Pseudonym) erlitt dasselbe Schicksal wie unzählige ihrer KollegInnen. Immer dann, wenn im 19. Jahrhundert Werke unter einem - selbstverständlich männlichen – Pseudonym publiziert worden sind, fanden sie große Zustimmung bei den männlichen Kollegen. Sobald jedoch zu Tage kam, dass die Musik aus der Feder einer Frau stammte, wurde sie gering geschätzt.

Als Kind hatte Mélanie Bonis Glück, ein Bekannter der Familie erkannte ihr außergewöhnliches Talent. Sie wurde von César Franck gefördert und besuchte das renommierte Conservatoire de Paris. Als ihre Eltern erfuhren, dass Mélanie eine Liebesbeziehung mit dem Studienkollegen Amédée Hettich hat, wurde sie sofort vom Konservatorium genommen. Die Zweiundzwanzigjährige musste einen Unternehmer heiraten und wurde in die Hausfrauenrolle hineingeworfen. Ihr Ehemann brachte fünf Kinder mit in die Ehe.

Erst als Vierzigjährige, nachdem sie vier eigene Kinder geboren und zahlreiche Krisen überwunden hatte, konnte sich Mélanie Bonis wieder dem Komponieren zuwenden. Mit großer Schaffenskraft komponierte sie Musik, die von einer bewundernswerten musikalischen Inspiration getragen wird.

Kraft der Interpretation

Berit Cardas (Violine), Klaus Christa (Viola), Bjorg Vaernes Lewis (Violoncello) und Timothy Horton (Klavier) präsentierten Bonis’ Klavierquartett aus dem Jahr 1905 mit einem gut ausgewogenen gemeinsamen Atem und mit viel Kontakt zueinander. Sie musizierten gestützt von einem großen Einverständnis füreinander, so dass fein nuancierte Abstufungen in der Tongebung modelliert wurden. In der intimen Atmosphäre des Frauenmuseums kann das Publikum auf Tuchfühlung mit dem Ensemble die Musik erleben. Die unmittelbar wahrnehmbaren Spielgeräusche verliehen den Stücken einen zusätzlichen, lebendigen Charakter.

Der Zeit voraus

Zuerst erklang ein Nocturne von Mel Bonis, das seiner Zeit weit voraus war. Wie aus einer Spieldose, erklang eine glasklar formulierte, absteigende Klavierlinie. Die darüber gelagerten und ineinander geflochtenen Streicherstimmen verströmten eine aufgewühlte Grundstimmung und eine in sich gekehrte Ruhe in einer guten Balance zueinander. Dieses Eröffnungsstück überstrahlte den dichten Kammermusikabend.

Voller Schaffenskraft und Leidenschaft

Auch das Klavierquartett Nr. 1, B-Dur, op. 69 aus dem Jahr 1905 erregte die Aufmerksamkeit, denn Mélanie Bonis hat in einem spätromantischen Stil mit vielen Verweisen auf moderne Stilmittel des Impressionismus eine aussagekräftige und mitreißende Musik geschrieben. Perlende Ideen gingen vom Klavierpart aus. Diese Themen nahmen die oft zusammen geführten Streicher auf. So nahm der Satz teilweise sogar symphonische Züge an, wirkte jedoch in sich stets klar und transparent verarbeitet. Schwebende Klänge und ruhige Passagen ließen Raum für ganz besondere harmonische Wirkungen. Im Intermezzo gingen von auffordernden motivischen Gesten gute Kommunikationsmuster aus. Besonders spannend wirkte die traumhafte Sphäre, in die die Zuhörenden geführt wurden. Leidenschaftlich bewegt, über weite Strecken angeführt vom Klavier verklang das Werk.

Zuerst reizvoll, dann langatmig

Brahms drittes Klavierquartett wurde mit gut ausformulierten Seufzermotiven eingeleitet, der Kontrast zum anschließende Ausbruch mit bewegten Themen wirkte auf diese Weise intensiv und energiegeladen. Die schwebenden und gleichzeitig vorwärts treibenden Motive mit Tonrepetitionen im zweiten Satz erinnerten frappant an Schubert. Auch die nachfolgenden Sätze wurden konzentriert musiziert, musikalisch boten sie jedoch enttäuschend wenige Anreize.