Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 28. Aug 2013 · Musik

„Winterreise“ und „Winter words“ in einen stimmungsvollen musikalischen Bogen gespannt – Ian Bostridge bereicherte die Schubertiade Schwarzenberg

Der Tenor Ian Bostridge wird nicht nur als herausragender Liedinterpret hoch geschätzt. Seinen musikalischen Weitblick und das Wissen über Zusammenhänge innerhalb der Kompositionsgeschichte bewies er bei einem Liederabend in Schwarzenberg. Im Angelika Kauffmann-Saal sang er den ersten Teil von Schuberts Winterreise und spannte mit Liedern von Charles Ives einen Bogen zum Liederzyklus „Winter words“ op. 52 von Benjamin Britten. Mit diesem Programm erregte Ian Bostridge Aufsehen und öffnete bei der Schubertiade endlich auch eine Türe zum klassischen Liedgut des 20. Jahrhunderts.

Ian Bostridge und Julius Drake am Klavier boten eine spannende Werkdeutung von Schuberts „Winterreise“. Schlüsselsätze betonte der Tenor in jedem einzelnen Lied individuell und legte damit den emotionalen Grundgehalt immer wieder auf unterschiedliche Art fest. So entstand ein Psychogramm eines Wandernden und Suchenden, der zuversichtlich und wohl gelaunt, zornig und in sich gekehrt, beseelt von Erinnerungen, befremdet von spontanen Beobachtungen und Selbsterkenntnissen war.

Individuelle Akzente


Neben den spezifischen Wortbetonungen und den darstellerischen Qualitäten setzte Bostridge gemeinsam mit seinem Klavierpartner auch individuelle Akzente im Hinblick auf die Tempowahl und Generalpausen. Strophische Gegensatzpaare formten sie einesteils mit viel Zeit, andernteils wurden sie spannungsgeladen forciert. Auf diese Weise wurden musikalische Sinnbilder in den Raum gestellt, die meinen Blick oft auf bisher Unbedachtes in diesen berühmten Liedern lenkte.

Aus einer anderen Perspektive gesehen


Nach der „Einsamkeit“ endete an diesem Abend Schuberts Winterreise. Über eine Brücke mit Liedern von Charles Ives führte Ian Bostridge die Zuhörenden zu Benjamin Brittens Liederzyklus „Winter words“ op. 52 nach Gedichten von Thomas Hardy. Faszinierend war zu erleben, wie Brittens weithin unbekannter Liederzyklus inhaltlich und teilweise auch musikalisch mit Schuberts Winterreise korrespondierte. Trotzdem öffnete sich eine ganz eigene atmosphärische Klangwelt. In den Vordergrund stellte Ian Bostridge die ganz aus dem Text herauskristallisierte Melodieführung, denn Benjamin Britten hatte die Lieder auch vom Sprachfluss aus konzipiert und mit einem plastischen und vieldeutigen Klavierpart versehen.

Bereits das zweite Lied „Midnight on the Great Western“ stellte den Höhepunkt des 1953 entstandenen Liederzyklus dar. Ausdrucksvolle Melismen betonten die Worte „journeying boy“ im Lied, das von einer Fahrt eines Jungen in eine ihm fremde Welt erzählte. Die eindringliche Wirkung wurde durch die Klavierbegleitung unterstrichen. Aus kristallinen Glockenschlägen leitete der Pianist immer wieder neue Bewegungsimpuls ab.

Ebenso eindrücklich stellten Ian Bostridge und Julius Drake das Lied „Wagtail and Baby“ dar. Der Inhalt, der texteutende sowie illustrierende Klavierpart und die Gesangslinie, versehen mit der vielsagenden Mimik des Sängers, brachten die skeptische Weltsicht des Komponisten Benjamin Britten besonders deutlich zum Ausdruck.

Liedschaffen des 20. Jahrhunderts


Mit Charles Ives erinnerte Ian Bostridge an einen Komponisten, der ein großes Liedschaffen hinterlassen hat. Der amerikanische Komponist sah vor allem in der Liedkomposition eine Möglichkeit, seine ganzheitliche Weltsicht zum Ausdruck zu bringen. Über Genregrenzen hinweg schuf Ives bemerkenswerte Kompositionen, die einen ganz eigenen Reiz verströmen. Dies zeigte Ian Bostridge mit einem Querschnitt von Liedern, die auch den spezifischen Humor von Charles Ives hervorkehrten. Dieser wurde vor allem in „Very pleasant“ und im „Lied-Aphorismus“ „1,2,3“ deutlich, wo der Komponist die Frage stellte: „Warum scheinen eins, zwei, drei einen Yankee nicht so anzusprechen wie eins, zwei!“. An Schubert erinnerten schwebende Klangwirkungen in „Feldeinsamkeit“ und melodische Wendungen im Lied „A Sound of a Distanz Horn“. Das Eigenleben eines Liedes beschwor Ives in „Thoreau“, das sich auch durch eine besondere Intervallsymbolik auszeichnete.

Ein lohnenswertes Ziel


Schubert hat auf vielfältige Weise auf die nachfolgenden Komponistengenerationen bis in die Gegenwart gewirkt. Das Schaffen der „Nachwelt“ in inhaltlich durchdachten Programmen aufzuzeigen, wäre auch im Rahmen der Schubertiade ein lohnenswertes Ziel. Ian Bostridge hat mit seiner außergewöhnlichen Liedauswahl Begeisterung ausgelöst. Das Publikum dankte mit jubelndem Applaus für diesen anregenden Liederabend.