Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Dagmar Ullmann-Bautz · 13. Feb 2023 · Theater

Mit Fantasie wider die Grausamkeit – eine Uraufführung am Vorarlberger Landestheater

Fantasie hat das Leben von Max Riccabona geprägt. Die Lebensgeschichte dieses ganz besonderen Vorarlbergers und seiner Familie wurde gestern in einem eindrücklichen Theaterstück am Vorarlberger Landestheater erzählt. Der österreichische Autor Thomas Arzt hat im Auftrag des Landestheaters ein Stück verfasst, das sich auf unglaublich spannende Weise dem Menschen Riccabona und seinen Angehörigen nähert. Regisseur Stefan Otteni hat den Theaterabend, der intensiv nachhallt, eindrucksvoll inszeniert. Denn es wird nicht allein eine Familien- und Lebensgeschichte erzählt, sondern vielmehr werden auch etliche Fragen aufgeworfen, die uns gerade heute wiederum sehr beschäftigen.

Max Riccabona wurde 1915 in Feldkirch in eine wohlhabende und angesehene Familie geboren. Sein Vater Gottfried war Rechtsanwalt und Politiker, seine Mutter Anna stammte aus einer Unternehmerfamilie. Max Riccabona studierte Jura, doch noch vor Beendigung des Studiums brach der Zweite Weltkrieg über Europa herein. Max wurde als Widerständler verhaftet und nach Dachau deportiert. Er überlebte die grausamen Jahre im KZ, beendete das begonnene Studium und trat in die Kanzlei seines Vaters ein. Nach dem Tod seines Vaters 1964 beendete Riccabona seine Tätigkeit als Anwalt und wurde nur wenige Jahre später – verarmt und  mutmaßlich verwirrt – teilentmündigt und ab 1968 bis zu seinem Tod im Jahre 1997 im Herzjesuheim in Lochau einquartiert. Die Tage dieser Zeit verlebte er vorwiegend in Bregenz, wo man ihm auf der Straße und in Cafés immer wieder begegnen konnte. In diesen konnte man seinen Geschichten lauschen, seinen erträumten Begegnungen mit besonderen Charakteren, die er schon als junger Mann gerne erfunden hatte. Sein Leben haben diese stets bereichert und in der Zeit in Dachau durch das Eintauchen in Fantasiewelten wohl auch gerettet. Riccabona hat ein umfangreiches Werk an Collagen und Texten hinterlassen und wurde noch zu Lebzeiten mit dem Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels ausgezeichnet.

Blitzlichter und Minidialoge

Das Stück liefert keine geradlinig erzählte Lebensgeschichte, es fängt gekonnt die Lebens- und Fantasiewelt eines außergewöhnlichen und vielschichtigen Mannes ein und wirft einen sehr klaren Blick auf die gesellschaftspolitischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts. In Blitzlichtern, kleinen Begebenheiten, Anekdoten, in Liedern und Minidialogen baut sich dieser Theaterabend auf und wird schlussendlich zu einem großen Ganzen. Bestimmt könnte man dieses Stück mehrmals sehen und würde immer wieder Neues entdecken.

Feines Gespür und großartiges Ensemble

Zentrales Element des Abends ist eine Bar, in der und aus der heraus sich die Geschichten entfalten. Regisseur Otteni hat ein feines Gespür für die Grenze zwischen Tragik und Humor und eine gute Hand für ein Ensemble, das durch Authentizität brilliert. Allen voran muss Dietmar Pröll erwähnt werden, der die Figur des alten Max Riccabona einfach großartig verkörpert. Er lässt uns ganz tief in diese verletzte menschliche Seele blicken. Wunderbar spielt Luzian Hirzel den jungen Max, so sensibel und feinsinnig, so fantasievoll und klug. Die Mutter Anna Riccabona, in glücklichen wie verzweifelten Tagen, wird beeindruckend dargestellt von Silke Buchholz, die auch als Allegorie >Liebe< und als James Joyce genau den richtigen Ton trifft. Der Vater Gottfried Riccabona wird von Julian Sark gespielt mit einer fast schon unheimlich glaubwürdigen Ausstrahlung. Zudem ist er in den Figuren des NS-Arztes Sigmund Rascher und als Richter zu sehen. Nurettin Kalfa setzt als Barkeeper und Therapeut einen feinen Ruhepol in dieses quirlige Universum und überzeugt ebenso als Geschäftspartner Johann Rhomberg und als Nationalsozialist Erwin Hefel. Last but not least ist Maria Lisa Huber absolut hinreißend als lebhafte Dora, Schwester von Max zu erleben. Herrlich energiegeladen wirkt sie auch in der Rolle von Onkel Max, dem Bruder von Anna. Mit ihrer kräftigen Stimme singt und gibt sie gemeinsam mit Nurettin Kalfa und Julian Sark drei ebenso komische wie grausame Klatschweiber von Feldkirch.

Wunderbarer Soundteppich

Musikalisch begleitet und unterlegt wird der Theaterabend von Barpianist Oliver Rath, der für die Gestaltung des grandiosen sich niemals in den Vordergrund spielenden und doch ständig anwesenden Soundteppichs eine Kette aus vielen kleinen Perlen geknüpft hat. Matthias Strahm hat die Figuren mit sehr ansprechenden Kostümen ausgestattet, die ihre Authentizität unterstützen sowie ein Bühnenbild entworfen, das die Fantasie beflügelt. Mit spannenden Spotlights versehen und bestens ausgeleuchtet wurde das Stück von Simon Tamerl.

Unterhaltsam und anregend

Es war ein Theaterabend, der nicht nur von der Vergangenheit erzählt, sondern auch wichtige Denkanstöße für heute liefert und sich dabei sowohl unterhaltsam wie anregend präsentiert. Ein Theaterabend also, den man fast schon erlebt haben muss und der vom Premierenpublikum dementsprechend begeistert und langanhaltend beklatscht und bejubelt wurde.

„Wunsch und Wiederstand" von Thomas Arzt
weitere Vorstellungen:
14./17./22./25.2., jeweils 19.30 Uhr sowie 26.2., 17 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz

https://landestheater.org