Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Niedermair · 03. Apr 2017 · Literatur

Walter Buders Lyrikband „dich“ - Eine Kooperation zwischen Autor, Hecht Verlag, Saegenvier und Druckwerk Lustenau

Am 30. März wurde im Druckwerk Lustenau ein beachtenswertes Buchprojekt präsentiert. Es war nicht des Autors erste Lesung aus dem neuen Band mit Ge“dich“ten, doch es war eine ganz besondere, brachte sie doch alle Akteure und Akteurinnen an einen Tisch in der Hofsteigstraße 21, wo Druckwerk Obmann Pirmin Hagen und Chistine Katscher, die Werkstattleiterin, Mitte März bei der Generalversammlung des Vereins über das erste erfolgreiche Geschäftsjahr des Druckwerks berichteten.

Im Laufe des ersten Jahres haben zahlreiche BesucherInnen die vielfältigen Angebote auf den historischen Druckmaschinen angenommen, Teile des alten Maschinenparks in Seminaren ausprobiert, dabei allerhand Erzeugnisse gedruckt, vom Plakat bis zur Visitenkarte. Im Rahmen eines solchen Workshop Projekts war auch Sigi Ramoser von Saegenvier Dornbirn mit seinem Team in der Werkstatt, wo unter anderem eine alte Idee, die zwischen Sigi Ramoser und dem Autor Walter Buder bestand, nämlich- „das wort. auf den tisch.“ S. 36 zu bringen – realisierte wurde. Eine, die in der vorderen Reihe in der Säge als kreative Powerfrau arbeitet, Monika Schnitzbauer, hat die Gedichte Buders gesetzt und in Kooperation mit Offsetdruck, Hecht Verlag und Druck, und Siebdruck, Druckwerk Lustenau, ein eigenwilliges und eigenständiges Büchlein gestaltet. Der Umschlag im Siebdruck, siehe das Foto nebenan, macht jedes einzelne Exemplar der 1. Auflage zu einem Unikat. Auf www.saegenvier.at gibt es im Hintergrund der Produktion dieses auffallend schönen Buches eine Fotodokumentation zu sehen, für die Leonie Ramoser verantwortlich zeichnet. Am Abend dieses 30. März konnte man in der Lustenauer Hofsteigstraße 21 den Verleger Kurt Hecht an einer alten Siebdruckmaschine stehend sagen hören, für ihn und Gertrud, seine Gattin, habe die Firmengeschichte mit Druckerzeugnissen im Jahr 1979 in der Garage des Wohnhauses in Hard vor genau einer solchen Maschine begonnen. Er strahlte dabei über das ganze Gesicht. Seit mittlerweile etlichen Jahrzehnten ist der Hecht Verlag in Hard am Bodensee der wichtigste Verleger neuerer Literatur in Vorarlberg. In diesem Haus sind unter anderem Bücher von Michael Köhlmeier, Kurt Bracharz, Wolfgang Hermann oder Lina Hofstätter erschienen. Wer den Verlag nach Pensionierung des Gründungsleiters weiterführen werde, sei derzeit nicht klar. Es wäre allemal schade darum, würden dort keine Bücher mehr verlegt, nun, da Bernd Schuchter mit seinem Limbus Verlag 2011 zurück nach Innsbruck gegangen ist. Es ist der Umsicht und dem kulturellen Weitblick im Lustenauer Rathaus zu danken, dass vor ein paar Jahren der Maschinenpark von Dornbirn nach Lustenau übernommen worden ist und in der ehemaligen Stickerei Gernot Grabhers eine ideale Bleibe gefunden hat. Grabher selbst ist im Druckwerk Lustenau sehr aktiv; das Haus öffnet sich auch für Theaterinszenierungen, wie wir das im letzten Jahr mit der Produktion von Brigitte Walks Stück über Jugendliche und Migration - „On the Road“ - erleben durften. Man will hoffen, dass weitere solche Buch-Kooperationen und ähnliche Projekte folgen werden. Die Möglichkeiten sind geschaffen. Es ist gut eingerichtet.

Der Autor


Walter Buder, Jahrgang 1948, hat als Fabriksarbeiter begonnen, eine kaufmännische Lehre absolviert und nach dem Besuch der Aufbaumittelschule katholische Theologie in Innsbruck und Lyon studiert; seit ca 1970 schreibt er Literatur, er ist Mitglied bei Literatur Vorarlberg, war in verschiedenen Funktionen in der Diözese Feldkirch tätig und mehrere Jahre bis zu seiner Pensionierung 2010 Chefredakteur beim Vorarlberger Kirchenblatt. In seinen weltoffenen und interreligiösen Prinzipien und Haltungen ist er auch sportlich als Friedensaktivist zuwege. Zu unserem Treffen beim Eingang zum Theater Kosmos in Bregenz zwei Tage vor der Buchpräsentation kommt er im Bikerdress, anschließend wolle man in die Berge. Doch er ist auch schon weiter geradelt, sozusagen „mit Weite beladen“, wie er in seinem jüngst publizierten Lyrikband „dich“ auf Seite 33 schreibt. Von Wien nach Jerusalem, „die Stadt der Städte“. Am 20. Mai 2009 erreichte Buder mit einer siebzehnköpfigen Gruppe von Radfahrern nach sechs Wochen und 3500 Kilometern das Damaskustor, früher Nablustor, an der Altstadt von Jerusalem. Nach dem Tor schieben die „Friedensradler“ ihre Räder durch den Souk, nur der in Damaskus ist ebenso vital, wenngleich ein bisschen anders, vorbei an den arabischen Geschäften, zum Österreichischen Hospiz, von dessen Dachterrasse man einen einzigartig schönen Rundblick über Jerusalem hat. Das Hospiz, an der Kreuzung von El Wad-ha Gai Str und der Via Dolorosa Str 37 gelegen, wurde in der Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie unter Kaiser Franz Joseph II erbaut. Der Kaiser führte bekanntlich den Titel und die Funktion eines Schutzherrn von Jerusalem.

Die Texte


Die in „dich“ versammelte Lyrik ist nicht während eines kurzen Zeitraums entstanden; vielmehr über mehrere Jahre hinweg ist die Reduktion in diesen Texten, in durchgehender Kleinschreibung mit sehr sparsam verwendeter Interpunktion, als ein durchgängiges Prinzip gewachsen. Der erste Text auf Seite 7 „der anfang ist immer / ein wort nur eines“ beginnt mit einer Standortbestimmung des Autors und gleichzeitig Anspielung auf Johannes. Das Johannesevangelium beginnt nicht mit der Geburt und Kindheit oder Taufe Jesu, sondern als strophisches Lied (1,1-18 EU) mit einem Prolog: Im Anfang (ἀρχή) war das Wort (λόγος). Der Prolog weist einen starken sprachlichen Rhythmus auf, die Begriffe und die Form beziehen sich auf den ersten Schöpfungsbericht der Tora. Das sprachlich feinfühlige Lektorat von Klaus Gasperi hat den reflektierten Sprachgestus Walter Buders noch zusätzlich von Wortballast befreit und den Texten jene Leichtigkeit eingeschrieben, wie wir sie von jener ausdauernd krautigen mit fleischiger Zahnwurzel ausgestatteten Blume kennen, die in diesen Tagen die Wiesen zum Inbegriff des Frühlings machen. Gasperis Lektorieren unterstützt den Autorentext hin zu Reife und Leichtigkeit, schwebend wie die haarigen Flugschirme. Die Texte an sich sind in einer offenen Form, reimlos, mehr erzählend reflexiv denn lyrisch, gehalten: „… und schleife wörter über / weißes papier und / feile wortspäne tageslastig schwer gebrannte / lettern schatten // zeichen: die schreibtischlampe nicht für das licht / der welt zu halten und entdecken: die krone // der schöpfung ist immer / noch aus lehm: gebrannt / und brüchig“.

An manchen Stellen verwendet er das aus dem Französischen herrührende lyrische Stilmittel des Enjambements, des Zeilensprungs, das er – wie auch andere Stilformen – experimentell als Verssprengung einsetzt, als Öffnung, als eine Überwindung und dennoch sich der Grenzen der Sprache bewusst werdend, als ein Weg ins Freie. Dieser sprachkritische Ton verweist in seinem Gestus an jene Idee Martin Bubers, ein österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph, das alles wirkliche Leben Begegnung sei und wir erst „am Du zum Ich werden“. Manche poetischen Miniaturen, die weit mehr sind als komprimierte Skizzen von Begegnungen oder mikrokosmische Momentaufnahmen aus dem Alltag, lassen in „dich“ jene französisch-jüdische Philosophin und Mystikerin durchschimmern, mit der sich Walter Buder im Rahmen seiner theologischen Dissertation in Lyon beschäftigt hatte, mit Simone Weil. Simone Adolphine Weil, 1909 bis 1943, war eine französische Philosophin, Dozentin und Lehrerin sowie Sozialrevolutionärin jüdischer Abstammung. Sie war zunächst eine agnostisch orientierte Gewerkschafterin, kritisierte den Marxismus und entwickelte sich zu einer Mystikerin, die in ihrem Streben nach dem Absoluten Religion und Politik verband; sie kämpfte, wegen ihrer extremen Kurzsichtigkeit, nur kurz im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der republikanisch engagierten POUM, und war politisch und sozial stark engagiert. In „eine poetische skizze entlang der kontur von carl lampert (1894-1944) in fünf versuchen“ schreibt Walter Buder – neben allen grundsätzlich global angelegten Bezügen zu Simone Weil, auf Seite 62 unmittelbar am Beginn von V „so liest du im schweißtuch der geschichte. siehst das antlitz deines ewigbruders leuchten in den dunklen stunden ohne trost? in jenen sommerlichen tagen musikklänge rauschen vom nahen konzertgarten herein in meine zelle verschattet nur vom reinsten unglück. namenloser schmerz.“

Am Ende möchte ich noch auf den Buder’schen Gestus der Ironie, vor allem der Selbstironie, hinweisen. Hier gelingen ihm wunderbare innere Dialoge mit sich selbst, Selbstgespräche, so wie die jüdische Politologin Hannah Arendt in ihrer Vorlesung über Sokrates „Die Apologie der Pluralität“ u.a. schreibt, dass die aufgeworfenen Fragen offen bleiben und eine Pluralität von Meinungen sichtbar werden kann. In einer interessanten Gedankenfolge zeigt Arendt, dass die Pluralität der Meinungen auch in jedem einzelnen Menchen vorhanden ist. Jeder Mensch ist ständig in einem, oft auch kontroversen, Gespräch mit sich selbst. Auf Seite 97 „nach endlos geschliffenen schleifen / gefeilt noch gedanken ein strich / ein vielleicht und doch noch kein ende, ende, der / . / rettet alles.“ klappt man das Büchlein zu, um es noch einmal in die Hand zu nehmen. Mein „dich“ ist vom vielen Lesen nicht „müde“ S. 55 doch „erfüllt, das herz“ geworden.