Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Raffaela Rudigier · 15. Nov 2017 · Literatur

Von bedrückender Idiotie und der Zukunft - Rainer Juriatti „Die werten Herren - Essay mit Theatermonolog“

Die Nationalratswahlen sind um, das Ergebnis der Großparteien war in etwa absehbar und nun stehen wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vor einer Neu-Auflage von „Schwarz-Blau“. Im Ausland wird das, beispielsweise in der Online-Ausgabe der „Welt“ von Sascha Lehnartz, so analysiert: „Rund 60 Prozent aller Österreicher haben sich bei dieser Wahl für Parteien entschieden, die den Herausforderungen einer digitalisiert-globalisierten Gegenwart und Zukunft mit konservativ-nationalen oder rechtsextremen Lösungsansätzen begegnen wollen. Darin liegt eine gewisse Ironie, denn zugleich gaben über 35 Prozent den Wunsch nach ‚Veränderung' als wichtigsten Grund für ihre Wahlentscheidung an. Rechts ist in Österreich nun die neue Mitte." Das heißt wohl die Rechten müssen sich in Zukunft richtig anstrengen, wenn sie rechts von der rechten Mitte noch wahrgenommen werden wollen. Was bedeutet das für die Zukunft? Was wird in einigen Jahren alles salonfähig, besser gesagt regierungsfähig, sein? Worauf steuert eine rechte Regierung und eine dementsprechend willige oder - noch schlimmer - willenlose Gesellschaft zu? Mögliche Antwort auf diese Fragen gibt der Bludenzer Autor Rainer Juriatti in seinem neuen Buch. Er hat noch vor dieser Nationalratswahl einen „Essay mit Theatermonolog“ mit dem Titel „Die werten Herren“ geschrieben.

Bedrückende Idiotie und ihre Anfänge

Ausgangspunkt dafür waren die vergangenen Bundespräsidentschaftswahlen mit dem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Rechtspopulisten Norbert Hofer und dem links-liberalen Alexander van der Bellen. Am Anfang des Buches steht die Bedrückung: „Bedrückend die Idiotie mancher Kandidaten, die sich der Präsidentenwahl 2016 stellten.“

In seinem Essay sucht der Autor nach Erklärungen dafür, warum die Gesellschaft plötzlich derart nach rechts abbog. „Die Welt, schien mir, war von der kleinsten Keimzelle an bis hin zu den großen Bewegungen eine brutale, eine rücksichtslose und egozentrische geworden.“
Rückblickend findet Juriatti für diese Wende viele Gründe: „Während wir schliefen“ verlor die SPÖ 1989 die absolute Mandatsmehrheit gegen die FPÖ. „Während wir schliefen in unserer kleinen Stadt, nahmen die Anfeindungen zu. (...) gemeint waren damit alle Türken, Bosnier, alle Serben und all die verdammten Menschen, die sich von Ost nach West, von Süd nach Nord bewegten. In der Kleinstadt allerdings blieb alles beim Alten. Jeder Tag glich dem anderen.“ Rückblickend sieht der Erzähler all die Dinge, die man damals nicht gesehen hat: verpasste Chancen, Gutgläubigkeit, Bequemlichkeit. Die Welt brennt, aber in der kleinen Stadt laufen die Dinge wie immer. Krisenherde wie jene in Nigeria, im Jemen, im gesamten Mittleren Osten, im Iran, usw. sind weit weg. „Ein wesentlich größeres Problem als all die Krisenherde der Welt stellten die misslichen Finanzen des örtlichen Hallenbads dar, weshalb das Kulturbudget gekürzt werden musste. Doch das kümmerte nur wenige (...).“

Gesinnungsstasi und mediale Stalinorgel

Die Rechten sind inzwischen Kommunikationsprofis geworden und sie kennen rhetorisch kein Erbarmen, so der Erzähler. Politische Gegner sind für sie „linke Gesinnungsstasi“, deren Anhänger „Freudomarxisten“ und die Journalisten spielen dazu die „mediale Stalinorgel“. Sie selbst aber seien die „Robin Hoods“ der modernen Gesellschaft. Und alles gipfelt in jenem legendären Satz des smarten Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“
Hinzu kommen die allgegenwärtigen sozialen Medien: „Menschen, die rechtsradikalen Aussagen kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, werden (...) denunziert, drangsaliert und – sofern keine anderen Mittel mehr bleiben – von Diskussionen ausgesperrt.“ Außerdem helfe beispielsweise Facebook den Rechten maßgeblich dabei sich weltweit bestens zu vernetzen.

Facebook statt Wahlen

Rainer Juriatti analysiert das Gesellschaftsbild der rechtspopulistischen Parteien. Er denkt nach über die auf Lustmaximierung ausgerichtete Gesellschaft und die zugleich zunehmende Radikalisierung. Der Autor erlaubt sich die Vorstellung eines Norbert Hofer als Präsidenten und einer darauffolgenden Nationalratswahl, die eindeutig von der FPÖ gewonnen wird. Die Dystopie beginnt: „Dann Grenzen schließen, Flüchtlingen Unterstützung versagen, damit sie straffällig werden und damit wiederum gute Gründe liefern, sie abzuschieben.“ Schließlich solle es eine Abstimmung unter jungen Menschen geben, ob es weiterhin Wahlen geben soll oder lieber Facebook. Wahlen daraufhin Kraft des Wählerwillens abschaffen. Junge Männer zum Wehrdienst ausbilden. Mädchen das Landleben schmackhaft machen. Kritiker mundtot machen. Massentötungen einrichten, weil billiger, als die Errichtung von Lagern.

Leid verursachen ist zu unterlassen

Zwischendurch denkt der Autor über Ethik, Schmerz, Angst, Hass und Leid nach. Und webt beinahe buddhistisch anmutende Sätze in seinen Text ein: „Wenn sich zeigt, dass eine Handlung zu Leid führen wird, ist das im Normalfall ein völlig ausreichender Grund dafür, sie zu unterlassen.“ Auch Immanuel Kants Maxime wird bemüht: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Demgegenüber stellt Juriatti sich die Frage, ob ein Henker, dem man einen Delinquenten vorführt, dieser Maxime folgt.

Präsident und Delinquent

Was folgt ist ein Theatermonolog, in dem der Präsident eines totalitären Staates seine Ansichten erläutert. Während ein Delinquent seine letzten Worte vor seiner Hinrichtung kundtun darf. Im Jahr 2025, sieben Wahlen nach jener denkwürdigen Präsidentschaftswahl, wurde Österreich wieder mit Ungarn vereinigt, die Pressefreiheit aufgehoben. Der Delinquent wurde ohne Angabe von Gründen eingesperrt und soll nun ohne Verfahren hingerichtet werden.

Lesen, nachdenken, handeln

„Die werten Herren“ von Rainer Juriatti ist gerade in diesen Zeiten ein sehr lesenswertes Buch. Es rekapituliert politische Ereignisse, stellt ihnen moralische Ansichten und Fragen gegenüber und wirft Licht auf die jetzige Situation. Sprachlich gewitzt, überspitzt und überzeichnet Juriatti in seiner Dystopie, warnt und denkt Gedankenkonzepte zu Ende, deren Anfänge wir jetzt gerade vielleicht miterleben. Lesen, nachdenken, handeln.

 

 

Rainer Juriatti, Die werten Herren. Essay mit Theatermonolog, Gebunden mit Lesebändchen, Limbus Verlag, ISBN 978 3 99039 115 0, 168 Seiten, € 15,-