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Raffaela Rudigier · 11. Okt 2020 · Literatur

Rainer Juriatti gründet einen Verlag und geht auf musikalische Lesereise

Dem Vorarlberger Autor und Wahl-Grazer Rainer Juriatti war während des Lockdowns, laut eigenen Angaben, das erste Mal in seinem Leben langweilig. Es gab nichts zu tun, keiner habe angerufen. Da hat er, gemeinsam mit seiner Frau Vera und seiner Tochter Chiara, einen Verlag gegründet: den „Kollektiv Verlag“. Das Ziel: Erzählungen, Romane, Bühnentexte, Essays zu „drängenden Themen der Zeit“ auflegen. Nicht verlegt werden: Biografien, Science-Fiction-Geschichten oder „betroffenheitslyrische Selbsterfahrungen“.

Ein Euro pro verkauftem Buch

Ein mutiger Schritt. Warum möchte jemand ausgerechnet jetzt, in Zeiten von „Selfpublishing“ und Amazon, einen Buchverlag öffnen? Dahinter steckt Rainer Juriattis eigene Erfahrung als Autor: „Erst wartet man ewig. Wenn man Glück hat, kriegt man dann vielleicht einen Verlag und ist dann so oberglücklich darüber, dass man alles in Kauf nimmt. Dann kriegst du einen Euro pro Buch. Das heißt, damit ich mir irgendwie mal ein Gulasch kaufen kann, muss ich 30 Bücher verkaufen, weil Sozialversicherung und Finanzamt kommen ja auch noch dazu. Für diesen einen Euro pro Buch rennst du dir also die Sohlen wund. Bei meinem vorigen Buch („Abwesenheit des Glücks“) hat es mir dann wirklich gereicht. Ich habe das durchkalkuliert und jetzt, wo ich selber Verleger bin, kann ich das realistisch kalkulieren und kann sagen: Es ist einfach unfair, was da läuft. Der Limbus Verlag hat in drei Jahren nicht eine Veranstaltung für mich auf die Füße gestellt und nie irgendetwas für meine Bücher getan. Sehr lange war mir das eigentlich egal, weil du denkst dir: Naja, das ist halt so und dann schluckst du und schreibst trotzdem weiter.“

Ein Verlag soll seine AutorInnen ernst nehmen

Juriatti ist jedoch davon überzeugt, dass er das selber besser machen kann als andere Kleinverlage. So kommt es, dass nun das neue Buch seiner Frau sowie seine eigenen Bücher im eigenen „Kollektiv Verlag“ erscheinen. Das Lektorat des Verlags übernimmt seine Tochter Chiara, die Germanistik studiert hat. Rainer Juriatti geht die Sache anders an, als das im klassischen Verlagswesen üblich ist: „Wir kriegen und wollen auch keine Verlagsförderungen. Weil ich nur zwei Bücher pro Jahr machen möchte. Um die AutorInnen, deren Bücher wir verlegen, möchte ich mich wirklich kümmern. Das ist mir wichtig. Ich will das aus leidiger Selbsterfahrung anders machen. Ich möchte die AutorInnen sehr ernst nehmen.“

Kommerziell, nur ein bisschen anders

Juriattis Ansporn sei die Liebe zur Literatur. Trotzdem ist der Verlag für ihn nicht einfach nur ein freudvolles Hobby, sondern es sollen durchaus auch kommerzielle Ziele verfolgt werden. Durch seine berufliche Erfahrung mit seiner eigenen Grazer Text- und Designagentur „Das Freitagnachmittag Kollektiv“ weiß er, wie man Marktanalysen betreibt und Zielgruppen findet: „Ich denke schon kommerziell, nur ein bisschen anders. Bei den meisten Verlagen geht es um Gewinnmaximierung. Das sind alles gewinnorientierte Betriebe. Bei mir ist es schon auch kommerziell. Ich überlege sehr genau, wen und was ich verlege und wo das hinpasst“, sagt Rainer Juriatti. Sein Ziel ist, durch gezielte Sponsoren den Buchdruck großteils zu finanzieren. So könne schnell Gewinn erwirtschaftet werden und den will er sofort mit seinen Autor*innen teilen. „Außerdem muss ich auch keine Herbst- oder Frühjahrsbücher machen, weil ich keine Verlagsförderungen in Anspruch nehme. Denn nur wegen den Förderterminen gibt es diese Herbst- und Frühjahrsbücher, die Kataloge und den ganzen Schwachsinn. Die sind im Zugzwang. Ich hingegen kann auch azyklisch im Juli erscheinen, wenn ich das will. Sobald ich das Sponsoren-Geld zusammen habe, drucke ich. Dann habe ich vielleicht sogar eher eine Chance auf eine Buchbesprechung hier und da. Ich glaube, man muss andere Wege und Räume suchen.“

Drei Testbücher

Die ersten drei Testbücher, die im Kollektiv Verlag erscheinen, sind Bücher aus der Familie. So will der Verlag die Abläufe und Produktionsschritte noch einüben. Eins davon ist ein ungewöhnliches Kinderbuch von Vera Juriatti. „Leon & Louis oder: Die Reise zu den Sternen“ ist ein Buch für Geschwisterkinder von sogenannten „Sternenkindern“. Dabei geht es um den Umgang eines Kindes mit dem Tod. Zudem wird Rainer Juriattis Debütroman „47 Minuten und 11 Sekunden im Leben der Marie Bender“ als Taschenbuch aufgelegt. Hinzu kommt das neue „Kritzelbuch“ des Autors. Darin findet sich die Satire „Augenbrennen“, sowie die satirische Notizensammlung „Reisen nach Absurdistan“. „Augenbrennen“ sei seine Antwort auf Corona, sagt Juriatti. „Ich musste darüber schreiben, weil es mir so absurd vorkam. Das passt auch so gut zu 'Reisen durch Absurdistan', die ganzen Regelungen sind so absurd. In meiner Satire 'Augenbrennen' kommt der Virus übers Auge und alle rennen mit Augenklappen herum.“

Reisen durch Absurdistan – ein literarisch-kabarettistischer Musikabend

„Reisen durch Absurdistan“ ist ein satirischer Kommentar. „Es geht um einen Mann, der auf die 60 zugeht, als Schriftsteller in einem Zimmer sitzt, und keiner ruft ihn an. Das ist sein Alltag. Aber es ist nicht biografisch, obwohl ich auch auf die 60 zugehe, in einem Zimmer sitze und keiner mich anruft“, sagt Juriatti. Der Protagonist befindet, dass er allein für eine Lesereise zu wenig Publikum anzieht, weshalb er einen Musiker dazu bucht. „Er denkt an Robbie Williams, der antwortet ihm aber innerhalb von drei Tagen auf sein Mail nicht, was er als totale Frechheit empfindet. Darum greift er dann zu einem heimischen Musiker und das ist der Philipp Lingg.“
Genau das gibt es bei dieser Lesung mit Musik tatsächlich auch live zu erleben: Gemeinsam mit dem Bregenzerwälder Musiker Philipp Lingg bringt der Schriftsteller ein 90-minütiges Programm auf die Bühne, das den wesentlichen Fragen rund um „Leben, Tod und Sinn“ in einer zunehmend absurden Welt nachgeht. Juriatti erzählt und stellt die Fragen, Philipp Lingg führt in mögliche musikalische Antworten. Geboten werde ein literarisch-kabarettistischer Musikabend voller Humor und Tiefgang.

Rainer Juriatti & Philipp Lingg: „Reisen durch Absurdistan“
20.10., 20 Uhr, Remise Bludenz (UA)
Charity für Nepal, 22.10., 19 Uhr, Bartl's Bar, Nüziders