Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Kurt Bracharz · 08. Dez 2014 · Literatur

Neue Bücher für die Küche

Auch heuer sind wieder eine Reihe interessanter Kochbücher, die sich zum Teil abseits des Mainstreams bewegen, erschienen.

„Fleisch“


In der Flut vegetarischer Kochbücher könnte Ludwig Maurers Fleisch (Matthaes) trotz seines großen Formats und seines stolzen Preises (€ 71,90) untergehen. Die Veggie-Welle zeigt aber auch so ihren Einfluss: Das Vorwort handelt vom respektvollen Umgang mit Tieren, dann folgen Doppelseiten mit Schopenhauer und einem Zitat aus „Mensch und Tier: Lexikon der Tierschutzethik“ von Gotthard M. Teutsch (1987). Erst danach empfehlen Stefan Marquard („Ein Spruch von dir begleitet mich immer: Scheiß dir nix, dann feid dir nix!“) und Wolfgang Otto vom Fleischversand Otto Gourmet den Tierhalter und Buchautor Maurer. Nach all diesen Beschwörungen kommt Maurer zur Sache, mit „Rasseporträts“ von Rindern, Schweinen, Schafen und Kaninchen und mit Fotoserien von der Zerlegung von Rindern und Rehen. Den Hauptteil des Buches nehmen Rezepte ein, darunter tatsächlich einige neue: Ich denke da weniger an die zumindest in Österreich stets erwähnte Fledermaus (bei Maurer „ein vergessenes Teilstück, das am Schlossknochen der Keule liegt“), sondern mehr an Blutrisotto, Blutspätzle, zweierlei Schwarte, Zahnfleisch vom Iberico-Schwein, gezupften Schweineschwanz, in der Blase gegartes Filet und Piccata von der Schweinemilz. Es soll jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass das Buch nur abseitige Rezepte enthält, die „normalen“ überwiegen, freilich in modifizierter Form, also zum Beispiel Onglet oder Fledermaus sous-vide gegart (was ich für keine gute Idee halte) oder Schweinebacke mit Achatschnecken kombiniert. Manche Gerichte sehen bei Maurer anders aus als gewohnt: Ich weiß nicht, ob Helmut Kohl den Pfälzer Saumagen von S. 172 auf dem Teller erkennen würde, kann aber sagen, dass ein Teller Bruckfleisch in einem Wiener Wirtshaus keine Ähnlichkeit mit dem „Wiener Bruckfleisch“ vom Foto auf S. 109 aufweist – obwohl Maurer sogar das Detail der extra zubereiteten Lichteln kennt. „Fleisch“ enthält Rezepte für Euter, Hoden (die Maurer „Red-Bull-Hoden“ nennt, was mich schon zurückzucken ließ, bis ich sah, dass er sie mit Randigsaft rot färbt), Schweinehaut, Hühnerkämme („Toulouser Ragout“), Lammbries, Markknochen und Schlachtsuppe. Hinten im Buch liest man Grundrezepte für Saucen und Fonds und Texte über den Kugelschuss auf der Weide und über Schlachtmethoden, katholisch, koscher und halal. „Fleisch“ ist ein anregendes Kochbuch, anregend zur Lektüre, zum Nachkochen und stellenweise auch zum Widerspruch.

„Pilze. Neue Rezepte für Zucht-, Wald- und Wiesenpilze“


Die Frage, ob man zu einem Thema wirklich noch ein weiteres Kochbuch braucht, stellt sich gerade bei Pilzbüchern. Eines hat sich da allerdings geändert: Auch auf kleinen Märkten werden mittlerweile mehr Zuchtpilzarten angeboten als früher. In dieser Lücke versucht sich Usch von der Windens Buch „Pilze. Neue Rezepte für Zucht-, Wald- und Wiesenpilze“ (Edition Fackelträger, € 19,95) anzusiedeln. Schon bei den Wildpilzen sind ein paar Arten aufgezählt, die nicht in jedem älteren Pilzkochbuch vorkamen, etwa der Bleigraue Bovist, der Schopftintling, der Perlpilz, die Ziegenlippe und der Violette Lacktrichterling, aber bei den Zuchtpilzen ist die Erweiterung des Repertoires noch mehr angebracht, denn das Goldkäppchen (Nameko), der Enoki (Samtfußrübling), der Shimeji (Buchenpilz), der Limonen- und der Rosenseitling, der Pom-Pom blanc (der von der Traditionellen Chinesischen Medizin hochgeschätzte Igel-Stachelbart) oder der Friséepilz (Ästiger Stachelbart), alles Pilze, die auch schon in Vorarlberg auf dem Markt aufgetaucht sind, kennt nun doch nicht ein jeder. Da ist es ganz gut, wenn der wissenschaftliche Name angeführt wird, weil man ja ein Wort wie „Enoki“ nicht in einem älteren Pilzbuch finden kann und in dem im Dunklen in Flaschen gezogenen Enoki nicht den wilden Samtfußrübling erkennen wird, während man unter „Flammulina velutipes“ nachlesen kann, was die Mykologie über diesen Pilz zu sagen weiß. Eindeutig falsch sind leider die Ausführungen über Trüffeln. Da heißt es gleich in der Einleitung: „Tuber brumale, der Wintertrüffel, gilt als ,der schwarze Diamant’ unter den Pilzen.“ Tatsächlich galt Tuber brumale immer als kulinarisch drittklassig, der „schwarze Diamant“ war die Perigord-Trüffel Tuber melanosporum, als erstklassig akzeptierte man bis in die 1980er-Jahre nur sie und die weiße Alba-Trüffel Tuber magnatum, sowie als zweitklassig die Sommertrüffel Tuber aestivum, die heute überall als „Schwarze Trüffel“ vermarktet wird. Alle anderen Trüffelarten galten als minderwertig und wurden in Trüffelbüchern zu Recht höchstens unter „ferner liefen“ vermerkt. Die Fotos der Trüffelrezepte im Buch sehen übrigens nach Sommertrüffeln aus. Origineller sind die Rezepte für Perlpilz-Ragout mit Lauch in Käsespätzle, Maronenröhrling-Getreide-Timbale mit Gemüse, Ziegenlippe im Bohneneintopf, Fichtenreizkerknödel oder Créme brulée mit Stockschwämmchen.

„Enzyklopädie der alpinen Delikatessen“


„Und wo gibt es noch Saubürzel oder Hundsärsche?“ fragt der Werbetext auf der Rückseite der Enzyklopädie der alpinen Delikatessen von Dominik Flammer und Sylvan Müller (AT Verlag, € 30,80), dem dritten Band der Reihe „Das kulinarische Erbe der Alpen“. Nun, Saubürzel ist der Portulak, und Hundsärsch’ heißen die Mispeln. Wenn man das Buch aufschlägt, sieht man als erstes eine Karte der Gebiete, über deren alpine Delikatessen Auskunft gegeben wird, sie sind mit Buchstaben bezeichnet und beginnen in Deutschland mit A Baden-Württemberg, B Niederbayern, C Oberbayern-Schwaben und setzen sich dann über Frankreich und Italien in die Schweiz fort, die es allein auf sieben Buchstaben bringt (von M Bern-Freiburg-Jura bis S Wallis), zuletzt folgen in einem Atemzug „Slowenien, Österreich“, und der letzte Buchstabe dieser Kombination ist „Y Vorarlberg-Liechtenstein“. An diesem Punkt angekommen, dachte ich mir, Flammer und Müller hätte sich viel vorgenommen, wenn sie unter anderen Franche-Compté, Rhône-Alpes, Aostatal, Piemont, Südtirol-Trient, Kärnten und die Steiermark einbeziehen wollten, aber – wie zu erwarten (und auch zu verkraften), ist die Schweiz unter den Stichwörtern doch überrepräsentiert. Das hatte für mich den Vorteil, dass ich endlich Genaueres über die Zutaten der öfters auf dem Markt in St. Gallen gekauften Ligiongia nera erfuhr. Tja, was könnte man hinsichtlich Vorarlbergs nachschlagen, um zu überprüfen, was das schlaue Buch weiß? „Ribelmais“ ist natürlich drinnen, über die Verwendung im Schweizer Rheintal sogar ziemlich ausführlich, zuletzt heißt es: „Die Vorarlberger Variante unterscheidet sich nur darin, dass sie mit ,ie’ geschrieben wird.“ Auch „Sura Kees“ hat seinen Eintrag: „Dieser traditionelle Almkäse aus dem vorarlbergischen Montafon gehört zu den Urkäsen des Alpenraums. Hergestellt wird der Sauermilchkäse aus der Magermilch, gewürzt wird er mit Salz und oft auch mit Rosenpaprika.“ Den Sig habe ich erst im Register entdeckt, weil er im lexikalischen Teil unter G („Gsig, Sig, Älplerschokolade“) steht: „Dieses urtümliche Produkt wird im Bregenzerwald im österreichischen Vorarlberg aus der Molke hergestellt, die nach dem Käsen übrigbleibt. (...) Der Gsig, der wahrscheinlich im Laufe des 18. Jahrhunderts als Ersatz für den damals noch sündhaft teuren Rohrzucker entwickelt worden ist, gehört zu den seltenen und eigentümlichen Delikatessen des Alpenraums. Er ist sehr vielschichtig, denn zunächst schmeckt er süsslich, bevor er in eine leichte Säure übergeht, um zuletzt noch einen salzigen Abgang preiszugeben. Ein einzigartiges Produkt, das heute leider vorwiegend aus industriell gewonnenem Milchzucker hergestellt wird.“ Über den Subirer heißt es: „Er gehört zu den ältesten sortenreinen Birnenschnäpsen, auch wenn er erst im Jahre 1928 entstanden ist. (...) Erstmals produziert worden war dieser sortenreine Schnaps vom Wollfurter (sic!) Kapellmeister und Lokalpolitiker Franz Rohner. Heute ist es eine Spezialität, die zahlreiche Vorarlberger Brenner anbieten. Er gehörte zu den teuersten und rarsten Schnäpsen des Alpenraums.“

Osterie d’Italia


Das von Slow Food herausgegebene Osterie d’Italia mit 100 Originalrezepten (Christian Verlag, € 30,90) ist auf dem Weg zum Couchtable Book auf halbem Weg stehen geblieben: Es enthält viele großformatige, aber fürs Nachkochen unnötige Fotos. Über ganzseitige Bilder von Ravioli, Tintenfischen oder Risotto will ich mich nicht mehr aufregen, obwohl ich wie jeder schon weiß, wie solche Sachen aussehen. Aber es ist heute allgemein üblich, Kochbücher so aufzuziehen, außerdem stellt das Buch ja primär 22 Osterien vor. Bei den 100 Rezepten hatte ich nicht den Eindruck, viel Neues zu entdecken. Eine Ausnahme ist der Penis vom Fassone-Rind auf der Zutatenliste zum „Quinto quarto“ – ja, ein Penis, keine Hoden. Der wird zwei Tage in Eiswasser gelegt, dann gehäutet und der Länge nach durchgeschnitten und in einem Vakuumbeutel mit Hühnerbrühe und Petersilie im Dampfgarofen 36 Stunden lang bei 68° C gegart. (Daran sieht man schon, dass es sich um ein sehr traditionelles Rezept handeln muss.) Er wird dann in 4 cm lange Stücke geschnitten, in Teig gewälzt und bei 140° in Öl frittiert. Das ist natürlich nur ein Teil des Quinto quarto, des „Fünften Viertels“, wie man früher die Schlachtabfälle nannte, die anderen Bestandteile sind Blättermagen, Netzmagen, Hirn und Rückenmark, die getrennt zubereitet und dann einzeln oder zusammen serviert werden. Ein Manko ist, dass sich viele regionale italienische Zutaten bei uns nicht beschaffen lassen, und ihr Ersatz halt doch anders schmeckt als das Original. So sind etwa die Fagioli dente di morto (Totenzahnbohnen) nicht wirklich durch eine andere Bohnensorte zu ersetzen, Heuschreckenkrebse, die unbedingt fangfrisch sein müssen, kann man zwar auch bei uns auftreiben, sie können dann aber nicht frisch sein, und zum Garen einer Gallina padovana in einer Schweinsblase fehlen Hausfrau und Hausmann wahrscheinlich sowohl ein Exemplar dieser Hühnerrasse als auch die Schweinsblase. Das Buch reizt übrigens physisch: Zumindest solange es neu ist, steigt aus seinem Inneren ein Dunst auf, der zuerst in den Augen brennt und dann Kopfweh hervorruft.