Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Annette Raschner · 27. Sep 2018 · Literatur

Die Fallstricke der Erinnerung

Mit „Verlangen nach Drachen“ gelang der in Berlin lebenden und am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel lehrenden Vorarlbergerin Verena Roßbacher 2009 ein Aufsehen erregendes literarisches Debüt. Mit „Schwätzen und Schlachten“ stellte sie fünf Jahre später unter Beweis, dass es sich dabei um keine Eintagsfliege gehandelt hatte, sondern dass mit ihr als Autorin wirklich zu rechnen ist! Jetzt ist mit „Ich war Diener im Hause Hobbs“ Verena Roßbachers dritter Roman bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Verena Roßbacher lässt den Prolog ihres Romans mit zwei Sätzen anstimmen, die im weiteren Verlauf noch mehrmals auftauchen werden: „Es war ein schlampiger Tag. Dies ist eine einfache Geschichte.“ Doch Vorsicht! Hier ist eine Autorin am Wort, die mit allen Wassern gewaschen ist! Denn einfach ist an dieser Geschichte rein gar nichts, zumal es sich beim Icherzähler, dem aus Feldkirch stammenden Diener Christian Kauffmann alias Robert um einen jungen Mann handelt, der weder seinen eigenen Erinnerungen noch seiner Fähigkeit traut, etwas schlüssig und wahrheitsgemäß zu Papier bringen zu können. „Kaum fange ich an, etwas zu erzählen, einen sauberen, schlichten Sachverhalt darzulegen, verzettle ich mich heillos in diesem ganzen unsortierten Wust an Gedanken und Erinnerungen, Fetzen und einzelnen Sätzen.“

Mosaike der Erinnerung

Christian, der als Diener seinen Namen ablegt und fortan Robert genannt wird, möchte in seinem Bericht im Rückblick Licht ins Dunkel der Ereignisse bringen. Nach zehn Jahren im Dienste der begüterten Zürcher Familie Hobbs ist sein Arbeitgeber, der Anwalt Jean-Pierre Hobbs, tot. Er hat sich in seinem Gartenhaus vis-á-vis der Luxusvilla, in der er, seine strahlende Ehefrau Bernadette, Zwillingsbruder Gerome und die beiden Kinder gelebt hatten, erschossen. Der Skandal – als solcher stellt er sich heraus – ist dem Zürcher Feuilleton mehrere Artikel wert. Es geht um Geldwäsche und Raubkunst, letztlich aber um etwas ganz anderes: Um eine Familientragödie, die sich gewaschen hat! „Die Bilder ziehen an mir vorüber wie in einem Plastiskop. Klick um Klick schaue ich mir diese festgefrorenen Szenen an und erinnere mich an die Tage und Situationen, an die Gespräche und die Gefühle und versuche, sie in einen Zusammenhang zu bringen.“

Was hat es mit der Eulerschen Zahl auf sich?

Robert erinnert sich also: An seine erste, beeindruckende Begegnug mit Bernadette Hobbs im „Café Sprüngli“ in der Bahnhofstraße. „Julianne Moore, Anne-Sophie Mutter, Bernadette Hobbs, sie alle hatten den Haaransatz meiner Träume“; an seine skurrilen Jugendfreunde aus der Feldkircher Zeit, Gösch, Isi und Olli; sowie an Ollis wunderbaren Vater Charly, einen Exjunkie, der mit seiner Frau einst eine Selbsthilfeorganisation namens „DroNeiDa“ gegründet hatte. „Er war ein wahnsinnig guter Typ. Fakt ist: Er hätte völlig wahllos einen Kindergarten, ein Seniorenheim, ein Fitnessstudio oder einen Bioladen führen können, die Leute hätten ihm die Bude eingerannt, um seine Produkte zu erwerben, ihre Kinder oder Opis betreuen zu lassen oder nach seinen Visionen zu turnen“; an Rosl Fraxner, die damals einzige Fotografin in der Stadt, die wirklich jeden vor ihre Linse holte und deren „künstlerische Erzeugnisse" ausschließlich „durch ihre ungewollte Komik“ überzeugten; oder auch an jene Mathematikstunde, in der von der Eulerschen Zahl die Rede war. Die Erinnerungen tauchen vermeintlich willkürlich und zusammenhanglos auf, aber – wie eingangs erwähnt! – Autorin Verena Roßbacher ist mit allen literarischen Wassern gewaschen, streut ganz beiläufig Motive und Fährten, um schließlich am Ende alle Fäden souverän zusammenzuführen, selbst die noch so losen!

 Die alte Screwballregel

„Ich mag es, wenn Dinge ‚aufgehen’“, lässt Verena Roßbacher ihren Protagonisten sagen und bietet damit zugleich einen kleinen Einblick in ihre eigene Schreibwerkstatt. „Ich mag es, wenn jede einmal getroffene Aussage ihren Sinn im Gesamtzusammenhang hat, ich mag es, wenn jeder lose Faden wieder aufgenommen wird, oder, wie die alte Screwballregel besagt: Jedes geladene Gewehr wird auch gefeuert.“ Gefeuert wird in diesem Roman auf Teufel komm’ raus, dass es nur so eine Freude ist! Die unbändige Erzählfreude von Verena Roßbacher, ihr sarkastischer Witz und ihre gesamte literarische Handwerkskunst: Sie machen diesen Roman zu einem ganz großen Lesevergnügen, das seinen Höhepunkt erreicht, als Robert mit Bernadette Hobbs einen Vorarlbergbesuch unternimmt, weil diese die Schubertiade in Schwarzenberg besuchen möchte. Robert ist alles andere als glücklich darüber, und die Reise wird für ihn zu einem einzigen Fiasko. „Es war alles, wirklich alles so gekommen, wie ich es partout nicht gewollt hatte.“ Und das, obwohl Robert für die drei Tage ein umfangreiches Programm – u.a. mit Kunsthausbesuch, Bregenzer Stadtbesichtigung und einem Abendessen im „Adler“ in Schwarzenberg erstellt. Doch anstatt die Landeshauptstadt zu besuchen, schlägt Bernadette vor, durch die Feldkircher Altstadt zu schlendern. Und es passiert, was passieren musste. Zunächst läuft ihnen Rosl Fraxner über den Weg und schließlich auch noch Olli und Isi. „Ich hörte das Wort Nahkampfsocke fallen – eindeutig eine Wendung aus Ollis Repertoire, sicher verwendete er sie für seine trotteligen Gymnasiasten, die beim Wort Präservativ dachten, es handle sich um die Bezeichnung für eine grammatische Grausamkeit, Ablativ, Adjektiv, Imperativ, Präservativ.“

Eine „Unwucht“

Der Besuch von Feldkirch, das nach Meinung von Robert „auch heute noch unter dem frühen Fluch der reinen Randbemerkung“ leidet, bringt alles durcheinander. Hier wird der Moment markiert, in dem etwas in Schieflage gerät und „eine Disposition zur Unruhe entstanden war, eine Unwucht.“
Das Besondere an diesem Roman ist, dass Verena Roßbacher darin meisterhaft die gesamte Bandbreite des Komischen ausleuchtet und gleichzeitig auf dessen direkte Verwandtschaft mit dem Tragischen verweist. Mit „Ich war Diener im Hause Hobbs“ gelingt ihr das Meisterstück, auf hoch intelligente Art und Weise zu unterhalten und tief zu berühren. Chapeau!

Verena Roßbacher, Ich war Diener im Hause Hobbs, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, ISBN 978-3-462-04826-1, 384 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, € 22,70

Lesungen:
27.9., 20 Uhr, Vorarlberger Landestheater, Bregenz
31.10., 20.15 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch – Doppellesung mit Nadine Kegele