Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Ingrid Bertel · 17. Nov 2015 · Literatur

Der wunderbare Fischzug - Wolfgang Bleiers Erzählung „Fischfang bei aufgehender Sonne“

Der 2010 mit dem Literaturstipendium des Landes ausgezeichnete Autor Wolfgang Bleier erzählt in „Fischfang bei aufgehender Sonne“ eine Liebesgeschichte in Bildern.

Er schreibe am liebsten in den frühen Morgenstunden, erzählte Wolfgang Bleier 2010 in heiterer Feierrunde nach der Verleihung des Literaturstipendiums. In der Dämmerung sitze er mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon und schaue in den Himmel über Wien. Mit einer solchen Beschreibung beginnt denn auch sein Buch. „Ich beobachte die Dämmerung und bin der Schreibvogel“, heißt es, und Bleier zieht uns LeserInnen mit einer atemberaubenden impressionistischen Farbstudie in seine Erzählung. Das grau fließende Wellblech der Dächer verwandelt sich in blitzende Grisaille, dann changieren die Grau- und Silbertöne ins Bläuliche, schließlich wird die Luft „lehmig – lichtdurchfluteter, leuchtender Lehm.“

Der aktive Tag gestaltet sich weit weniger poetisch, „erschöpfte, todtraurige Pflanzen wohnen im Stiegenhaus. Die Treppen und ich laufen um die Wette.“ In solchen Sätzen pulst der Rhythmus, klingt der Sound unseres Alltags. Bleier erzählt keine geschlossenen Geschichten, auf Handlung legt er nicht den geringsten Wert. Er breitet Bilder aus, Fische schwimmen durch diese Bilder, Tauben durchschwirren sie - und sind dabei nicht die (unsereinem) lästigen Ratten der Lüfte, sondern wie im Märchen vom Aschenputtel die Träger der Wahrheit.

Am Vormittag sitzt der Ich-Erzähler in einem glühend heißen sommerlichen Reisezug und beginnt, die Welt über die Haut wahrzunehmen. „In den engen Abteilen muss man dürsten, der Körper muss dünsten und gar sein am Ende der Reise.“ Dann doch lieber Abtauchen in die schimmernde grüne Kühle der Traumbilder!

Fischfang bei aufgehender Sonne


Harald betritt die Erzählung, Alberto mit seiner „Löffelfrau“, Julia taucht auf. Die Bilder deuten eine Liebesgeschichte an, ein intensives erotisches Erleben. Aber Julia wird nicht zur Erzählerfigur, die sich artikuliert und ein Eigenleben entwickelt, sie bleibt ganz und gar Empfindung des Ich-Erzählers, ein Objekt der Anbetung, „die Frau ist mein Flügelaltärchen“. Dann schiebt sich unvermittelt der Titel des Buches in den Text: „Die Frau sagt: Ich schmiere mir Frohsinn ins Gesicht. Der kaputte Blasebalg lacht, der Wind lacht. Fischfang bei aufgehender Sonne, Möwen schärfen ihre Flügel.“

Der Titel des Buchs bezieht sich auf eine Radierung von Max Ernst aus dem Jahr 1965, dem Geburtsjahr des Autors, und wenn man sich vorstellt, wie die von Vögeln und Fischen, von Wäldern und Architekturgebilden träumenden Bilder Max Ernsts in Sprache zu übersetzt sich ausnähmen, kann man eigentlich nur an Wolfgang Bleier denken. Seine Empfindungen für Julia sind hauchzarte, lichtdurchflutete, farbig schimmernde Traumbilder, und naturgemäß sind sie surreal und voller Irritationen.

Die raue See


„Ich … schöpfe Wasser mit einem kaputten Eimer, bis ich ganz erschöpft bin. Ich schleife die rauhe See“, schreibt Bleier, der sich an die alte Rechtschreibung hält, „ich schleife tagelang die rauhe See.“ Die Erkundung der Sinnlichkeit ist bei ihm immer auch Erkundung der Sprache – schöpfen und erschöpfen, schleifen und Rauheit, in ein surreales Bild kippend, das Bild der „rauhen See“.

Wer Bleier liest, muss selber denken, muss selber empfinden. Eine faule Lektüre, bei der Anweisungen gefressen werden und der Autor das Lesen durchinszeniert, ist nicht möglich. Das bedeutet kleine Auflagen für den Autor und großes Vergnügen für den Leser und die Leserin, die sich auf das Spiel einlassen.

Menschenfischer

 

Das Titelbild von Bleiers Buch „Fischfang bei aufgehender Sonne“ stammt nicht von Max Ernst. Es zeigt ein zart im Nebel verschwimmendes Ruderboot. Ich betrachte, während ich diesen Text schreibe, ein ganz anderes Bild. Auch dieses Bild stellt ein Fischerboot am frühen Morgen dar, und zwar auf dem Genfer See. Die Berge im Hintergrund lassen keinerlei Zweifel am Standort des Malers offen. Das Ufer mit seinen Steinen und Gräsern ist von einem unerhörten Realismus. „Der wunderbare Fischzug“ stammt von Konrad Witz. Er malte 1444 eine biblische Szene auf eine ganz neue Weise. Den See Genezareth und die Berufung der ersten Jünger mit dem zentralen Satz „Von nun an sollst du Menschen fangen.“ Holt er aus der religiösen Ebene heraus in eine Alltags-Realität.

Vielleicht gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen diesem Gemälde und dem Buch von Wolfgang Bleier, und vielleicht ist diese Gemeinsamkeit erhellender als der Bezug auf Max Ernst. Denn es ist das unvermutete Zusammentreffen von genau registrierter Wirklichkeit mit dem Erahnen kulturell geformter Wahrnehmung, das die Lektüre von Wolfgang Bleier so ungemein spannend macht. Das ist ein Autor, der sollte Menschen gefangen nehmen.

 

Wolfgang Bleier, Fischfang bei aufgehender Sonne, Hardcover, 144 Seiten, € 16,90,- ISBN 978-3902665-93-5, Klever Verlag, Wien 2015