Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Bettina Barnay · 19. Apr 2022 · Literatur

Der Geist weht, wo er will

Runde Geburtstage bieten Anlass für Laudationes. Jene für Rudi Spring, im März in Buchform erschienen, umfassen 320 Seiten und wurden von 34 Laudator:innen verfasst. Weil der Jubilar manches wohl selbst am besten weiß und auch so wunderbar schreibt, hat auch er einige Kapitel verfasst.

Man beginnt also das Buch zu lesen und verfällt dem Menschen Rudi Spring sofort. Liest vom musikalischen Wunderkind, das sich aber auch mit Fußball oder Leichtathletik beschäftigte und im Musikunterricht in der Oberstufe pantomimisch den Start eines 100-Meter Sprints übte. Trostlose Langeweile durch hoffnungslose Unterforderung trieb ihn dazu. Ich wäre gerne mit ihm in die Schule gegangen.

Spring in Bregenz – der kurze Frühling eines Konservatoriums

Diese Überschrift habe ich mir bei Wolfgang Steger ausgeliehen. Er ist einer der Herausgeber des Buches: „Rudi Spring Komponist, Pianist, Pädagoge“, und seit vielen Jahren ein treuer Freund und Förderer des Multitalents. Die beiden, Steger und Spring, haben sich in der Belruptstraße in Bregenz kennengelernt, in jenem Haus, in das 1976 das Konservatorium einzog, jenes unter der Leitung von Aldo Kremmel. Dem Haus wohnte, man verzeihe mir das Zitat „ein Zauber inne“: eine wohlige Kombination aus Aufbruchsstimmung, internationalem Flair und kleinstädtischer Gemütlichkeit. Man hätte sich das als Student:in nicht besser wünschen können. Da wuchsen sie musikalisch heran und zusammen, die Herren Steger und Spring und einige mehr. Es muss eine großartige, eine fruchtbare Zeit gewesen sein. Stegers Erinnerungen lesen sich wie ein Roman. Man erfährt von Rudi Springs musikalischer Vielseitigkeit. E und U, wer braucht diese Abgrenzungen? Gut muss sie sein, die Musik, handwerklich erstklassig. Bach, Beatles oder Genesis (die Rockband) wurden zu kongenialen Kompositionsmotivatoren. Rudi Spring hatte schon als Elfjähriger begonnen, sich in Analyse, Harmonielehre und Komposition ausbilden zu lassen. Alfred Kuppelmayer war sein viel zu früh verstorbener Wegweiser. Christoph Eberle war dann am Bregenzer „Konsi“ auch mit von der Partie. Mit dem von ihm gegründeten Symphonieorchester Vorarlberg und der Camerata Bregenz hat er einige Werke seines früheren Studienkollegen Rudi Spring aufgeführt und für den ORF einspielen lassen. Sie waren ein eingeschworenes Häuflein, die Bregenzer Musikstudenten (und einige wenige :innen).
In seinem Lebenslauf spielt Bregenz nach 1980 keine zu große Rolle mehr, Rudi Spring hat Klavier und Komposition in München studiert. Da lebt er noch heute, als freischaffender Musiker und Komponist, und unterrichtet ebenda, an der Musikhochschule. Aber für die Musiker:innen seines Jahrgangs und einige, die weit jünger sind, war und ist er trotzdem immer irgendwie ein Vorarlberger. Weil Lindau (wo er aufgewachsen ist) eh nicht so weit weg ist und er schließlich in Vorarlberg studiert hatte.

„Spiritus, ubi vult, spirat“ – der Geist weht, wo er will

Wer die Aufführung dieser Kantate, 2004 in der Vorarlberger Landesbibliothek, erlebt hat, wird sie nie vergessen. Das Ensemble Plus hat einige Spring-Stücke zur Uraufführung gebracht, unter anderem dieses. Ich fand es überragend und würde gerade dieses Werk gerne wieder hören. Aber das ist ja nur eine Seite von Rudi Spring, sein Oeuvre umfasst geistliche Werke ebenso wie Bearbeitungen, Kammermusik in verschiedensten Besetzungen, Solostücke, Bühnenmusik, großbesetzte Instrumentalwerke, kurz – viel! Und so viel Spannendes dabei. Und er ist Pianist, einer der eine Sibelius CD eingespielt hat, die zum Weinen schön ist, der Schuberts Klaviersonatenperiode von 1823 - 1826 ausleuchtet, und gemeinsam mit der Sängerin Salome Kammer grandiose Projekte verwirklicht. „I hate music – but I like to sing“. Auf Youtube kann man sich einen Eindruck davon machen und hört Rudi Spring auch Klavierspielen, und zwar so, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, als in verrauchten Bars die Gäste zu unterhalten, also klanglich – optisch nicht, da ist er der konzentrierte, perfekte – oh nein, Begleiter wäre zu wenig gesagt, Klavierpartner, ja das ist er. Aber eben nicht „nur“ bei Chansons, sondern bei Musik jedweder Epoche. Und bevor Sie jetzt fragen, nein, eine Homepage hat Rudi Spring nicht. Aber dafür hat er sich nicht nur als Komponist, Pädagoge, Liedpartner und -entdecker einen Namen gemacht, sondern auch viele CD Booklet-Texte geschrieben, einer lesenswerter als der andere, so klug, so eloquent. Der Mann hat unfassbar viele Talente, ein Gedächtnis wie ein Computer, ein Wissen wie ein mehrbändiges Nachschlagewerk und dazu noch eine Frau und zwei Söhne.

Musikalische Weggefährten und Freunde erweisen Rudi Spring ihre Reverenz

Nicht nur im Buch! Aber dort übertitelt etwa Henriette Zahn, eine ehemalige Studentin, ihr Kapitel über Rudi Spring mit „Das Rudi-Universum“ und zeichnet das Bild eines ehrlichen, authentischen, überaus genauen und stets forschenden und in die Tiefe gehenden Menschen. Alfred Solder, der nicht nur in den Anfangsjahren des Bregenzer „Konsi“ die Freude hatte, mit Rudi Spring zu musizieren, sondern ihn dann später als Mitarbeiter der E-Musik Abteilung des ORF Vorarlberg und von Ö1 stets (und zu Recht) gefördert hat, attestierte schon dem jungen Spring unermessliches musikalisches Potential und schreibt: „Und dieses ist immer weiter herangereift, hat sich in so vielen verschiedenen Richtungen entwickelt. Wer damals über genügend Vorstellungskraft und Phantasie verfügte, der konnte bereits reiche und vielfältige musikalische Welten erwarten. Rudi hat dieses Versprechen in reichem Maß eingelöst.“
Die größte Ehre, die man einem Komponisten aber erweisen kann, ist die, ihm einen Auftrag zu erteilen. Im Juli 2022 soll das, vom Klarinettisten Martin Schelling bestellte Quartett „prisM ART Invention“ in Vorarlberg zur Uraufführung kommen, in einer noch nie dagewesenen Besetzung: Klarinette, Bassetthorn, Violoncello und Klavier. Hoffentlich mit dem Komponisten Rudi Spring selbst am Flügel.

Bernd Oberdorfer, Kilian Sprau, Wofgang Steger (Hg.): Rudi Spring – Komponist, Pianist, Pädagoge. Alitera-Verlag, München 2022, 320 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-96233-326-3, € 35