Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Markus Barnay · 26. Dez 2017 · Literatur

Bolschewisten, Räte, Revolutionen - Die Rheticus-Gesellschaft erinnert an die russischen Revolutionen 1917 – und ihre Wahrnehmung in Vorarlberg

Warum das 100-Jahr-Jubiläum der russischen Oktoberrevolution im November 2017 gefeiert wurde, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben: In Russland galt noch bis 1918 der julianische Kalender, und der hinkte dem – im übrigen Europa seit 1700 allgemein gebräuchlichen – gregorianischen eben um rund zwei Wochen hinterher. Die „Oktoberrevolution“ mit dem Sturm auf das Winterpalais in Petrograd, der damaligen Hauptstadt des Zarenreiches, fand also am 6./7. November unserer Zeitrechnung statt. Was man aber in Vorarlberg damals von den Ereignissen in Russland erfahren und wie man sie beurteilt hat – das wurde bisher noch kaum umfassend erforscht. Diese Forschungslücke möchte jetzt eine Publikation schließen, die von der Rheticus-Gesellschaft als Band 73 ihrer Schriftenreihe herausgegeben wurde und an der - neben Rheticus-Geschäftsführer Gerhard Wanner – auch die Historiker Werner Bundschuh, Nadja Feuerstein, Johannes Spies und Karl Schweizer und die ungarische Universitäts-Dozentin Ibolya Murber mitwirkten. Bundschuh, Spies und Wanner analysierten, was die damaligen Parteizeitungen über die Vorgänge zwischen Februar und November 1917, aber auch in den Jahren danach berichteten. Ihr Fazit: Über die russische Revolution wurde regelmäßig, aber nicht immer sehr detailliert, vor allem aber sehr parteiisch berichtet – und das trotz der herrschenden Zensur, denn schließlich war ja der Erste Weltkrieg noch immer in vollem Gange.

„Friedensapostel“ Lenin?

Dieser Krieg – und die Hoffnung, dass er bald vorbei sein möge – hat die Wahrnehmung des russischen Umsturzes natürlich maßgeblich beeinflusst. Selbst das katholisch-konservative „Vorarlberger Volksblatt“ sah im Parteiführer Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin einen „Friedensapostel“, während als Kriegstreiber vor allem zwei Sündenböcke ausgemacht wurden: die Engländer – und die Juden. Letzteres ist katholisch-konservative Tradition, denn der Antisemitismus war im „Volksblatt“ schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gewissermaßen Blattlinie.

Die grundsätzliche Einstellung zur russischen – und zu jeder anderen möglichen – Revolution hatte aber der Feldkircher Generalvikar Siegmund Waitz schon im Juni 1917 in einem mehrseitigen Artikel im „Volksblatt“ deponiert: Er bezeichnete die – von der Französischen Revolution erstmals postulierte – Volksherrschaft als „teuflisches Verbrechen an der Menschheit und der gesamten Gesellschaft“, weil das Recht grundsätzlich nur von einem göttlichen Souverän ausgehen könne. Fazit: „Die Revolution als solche darf nach katholischer Sittenlehre nicht gutgeheißen werden.“

Millionen Opfer statt „Weltfrieden“

Die Vorarlberger Sozialdemokraten wiederum – auch damals schon ein kleines Häufchen wackerer Kämpfer für die Rechte der Arbeiter – erhofften sich von der Machtübernahme der radikalen Bolschewiken nicht weniger als den „Weltfrieden“, der demnach von der „sozialistisch-revolutionären Klassenregierung“ von Lenin und Trotzki verwirklicht werden sollte – eine ziemlich illusorische Hoffnung, wie sich bald herausstellte, dauerte doch allein der russische Bürgerkrieg noch bis 1922 und forderte Millionen Opfer, ehe die Bolschewiken endgültig die Macht erobert hatten und die Sowjetunion gründeten.

Aufruf zum „heiligen Krieg“ gegen „gottlosen“ Kommunismus

Es waren aber nicht die theoretischen und ideologischen Auseinandersetzungen, die den weiteren Verlauf der Geschichte in Vorarlberg bestimmten, sondern die konkreten Handlungen der beteiligten Akteure: Die Gründung der „Vorarlberger Heimatwehr“, also eines paramilitärischen Verbandes unter der Kontrolle des Landeshauptmanns, wurde mit der drohenden „bolschewistischen Gefahr“ gerechtfertigt – und die wiederum mit der kurzzeitigen Existenz einer revolutionären Räteregierung im benachbarten Lindau illustriert. Als „jüdisch“ und „bolschewistisch“ regiert galt in der Propaganda der Christlichsozialen nunmehr auch die Bundeshauptstadt Wien – und auch die Werber für einen Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz bedienten sich dieser Feindbilder.

Selbstverständlich wurden auch die Vorarlberger Sozialdemokraten in einen Topf mit den „Sendlingen der Hölle“ geworfen, wie der Präsident der Feldkircher Caritas, Josef Gorbach die russischen Bolschewisten nannte. Gorbach rief gleich auch noch die „gesamte Christenheit“ zum „heiligen Krieg“ gegen die Ungläubigen auf. Die Rezepte gegen den „gottlosen“ Kommunismus, der der Propaganda zufolge schon beinahe vor der eigenen Haustüre stand, fielen in den verschiedenen politischen Fraktionen unterschiedlich aus: Während das christlichsoziale Lager mit tatkräftiger Mithilfe des Vorarlberger Landeshauptmanns Otto Ender daran ging, die Demokratie durch einen katholischen „Ständestaat“ zu ersetzen, hofften die Deutschnationalen, denen nicht wenige Fabrikanten angehörten, auf die politische Bewegung, die gerade in der deutschen Nachbarschaft auf dem Weg zur Machtübernahme war: die Nationalsozialisten. Und als diese dann im März 1938 auch Österreich unter Kontrolle brachten, ließen die österreichischen Bischöfe in den Kirchen eine Willkommensbotschaft verlesen: „Wir sind auch der Überzeugung, dass durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt werde.“

Unbekannte Aspekte mit unzähligen Fehlern

Rund die Hälfte des Buches der Rheticus-Gesellschaft ist der Analyse der Vorarlberger Presseberichterstattung über die russische Revolution gewidmet, dazu kommen „internationale Aspekte“ wie ein Bericht über die Lindauer Räterepublik (von Karl Schweizer), über Lenin im Schweizer Exil (von Nadja Feuerstein) und über das unterschiedliche Verhalten der österreichischen und der ungarischen Sozialdemokraten gegenüber der russischen Revolution (von Ibolya Murber) – denn mit dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie traten auch hier die Differenzen zwischen den jeweiligen Parteien zu Tage.

Weitgehend unbekannt war bisher hierzulande aber auch die Rolle der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Schweden und des dortigen Militärattachements während des Ersten Weltkriegs – sowohl in Bezug auf den Austausch und die Rückführung von Kriegsgefangenen aus Russland als auch für die Versorgung der Monarchie mit Lebensmittel und Textilien. Gerhard Wanners Beitrag zum Thema ist ein Auszug aus seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1983.

Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch der reichlich schlampige Umgang mit der Rechtschreibung und der Zeichensetzung in dieser Publikation der Rheticus-Gesellschaft: Unzählige Fallfehler sowie vergessene Buchstaben oder Satzzeichen lassen den Verdacht aufkommen, dass hier das Lektorat entweder versagt hat – oder dass aus Versehen die unlektorierte Fassung des Buches in Druck ging.

 

Rheticus-Gesellschaft (Hg.), Russische Revolutionen 1917. Presseanalysen aus Vorarlberg und internationale Aspekte. Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 73, Feldkirch 2017. 202 Seiten, ISBN 978-3-902601-49-0, € 21,-