Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Fischer · 29. Sep 2014 · Literatur

Aus Vorarlberger Sicht - Für Gott, Kaiser und Vaterland, Vorarlberg 1914 - 1918

Der im Juni 2014 erschienene neueste Band der Rheticus-Gesellschaft beinhaltet mehrere Beiträge zum 1. Weltkrieg aus Vorarlberger Perspektive. Neben dem Vorwort des Herausgebers Kurt Tschegg gibt es eine kurze Kriegschronik. Dann folgen Beiträge von Gerhard Wanner „Für Gott, Kaiser und Vaterland in die Barbarei. Das erste Kriegsjahr in Vorarlberg 1914“, von Alfred Tschegg „Kriegschronik 1914-1918“ und Benjamin Wehinger „Kriegsjahre eines Landstürmers in Galizien und den Dolomiten“.

Hauptaugenmerk dieser Rezension wird auf den Beitrag vom Historiker Wanner gelegt, weil er den politischen Fokus auf Vorarlberg im Jahre 1914 wirft. Damit soll keineswegs die Bedeutung der beiden anderen lesenswerten Beiträge geschmälert werden. Diese schildern die Einzelschicksale zweier Vorarlberger Soldaten, Alfred Tschegg, Volksschullehrer in Götzis, und von Gebhard Wehinger, Feldkirch. Tscheggs Tagebuchaufzeichnungen geben ein detailliertes Bild wieder über seine persönliche Situation als Student der damaligen LBA in Feldkirch, die Lebensumstände, Hunger und Not in Vorarlberg und seine Freude über seine Untauglichkeit. 1917 wurde er dann doch noch einberufen, hatte aber das Glück, nicht an der Front eingesetzt zu werden. Im dritten Beitrag werden Gebhard Wehingers Kriegserfahrungen von seinem Urenkel Benjamin Wehinger geschildert. Grundlage dafür sind das persönliche „Kriegschronik-Bild“ seines Urgroßvaters, viel Archivmaterial und diverse Dokumente.

„Für Gott, Kaiser und Vaterland in die Barbarei …“

Gerade diese Barbarei bewegt Gerhard Wanner. Ausgehend vom Quellenstudium der damaligen in Vorarlberg verbreiteten 9 Tages- und Wochenzeitungen beleuchtet er mit vielen Zitaten und Bilddokumenten die Stimmungslage unmittelbar vor und nach Ausbruch des Weltkriegs in der Vorarlberger Bevölkerung im Jahre 1914. Aber auch die überwiegend katastrophalen Folgen für das gesellschaftliche, politische und familiäre Leben werden anhand von vielen Zitaten ausführlich dokumentiert.

Kriegsbegeisterung und Masseneuphorie

Schnell wich die Trauer um die Ermordung des Thronfolgerehepaars Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Herzogin Sophie von Hohenberg in Sarajewo am 28. Juni 1914 einer allgemeinen Kriegsbegeisterung, wie der folgende Text aus dem Vorarlberger Volksblatt nach der Kriegserklärung durch Kaiser Franz Josef I. am 28. Juli 1914 in seinem Urlaubsort Bad Ischl exemplarisch zeigt:
„Von Bregenz bis nach Orsova (Stadt in Westrumänien)
Von der Weichsel bis zur Adria
Tönt es viel tausendfach
„Hurra, Hurra, Hurra, der Krieg ist da!“
[…]
Schon lange siedet unser Blut!
Wir wollen von der Natternbrut,
Von Lügnern, Heuchlern, Mördern, Räubern
Europa einmal gänzlich säubern.“

Wanner führt eine Reihe prominenter Persönlichkeiten aus der Politik und Kirche an, die die Kriegseuphorie in weiten Teilen der Vorarlberger Bevölkerung anheizten und die Soldaten und Bürgerwehren geradezu kriegsgeil machten. Nicht zu vergessen die Propagandamaschinerie der meisten Printmedien, die einen wesentlichen Beitrag zu dieser für uns heute unverständlichen Kriegsbegeisterung leisteten. Neben den Christlichsozialen taten sich auch die Freisinnigen (der rechte Ableger der heutigen FPÖ) hervor, die im Krieg einen „ästhetischen Genuss“ sahen. Die in Teilen der heutigen FPÖ noch unverhohlene Forderung nach einem großdeutschen Reich kam damals schon zum Ausdruck. So stand im „Anzeiger für die Bezirke Bludenz und das Montafon“ vom 7. 11. 1914 folgender Text:
„Sinken Reiche rings in Trümmer,
Zwei nur stehen Hand in Hand,

Schwertgewaltig, fester immer;
Wie ein Nibelungenland!
Helden hier und Recken drüben,
Schild und Schwert ein einzig Schlag,
Und zwei Kaiser, die sich lieben,
[Kaiser Franz Josef und Wilhelm]
Brüder bis zum letzten Tag!
Deutschland-Österreich, Hand in Hand,
Nur ein einzig Vaterland.“

Sozialdemokraten und Frauen als KriegsgegnerInnen

Wanner entdeckt bei seinen Recherchen, dass es auch solche in der Bevölkerung gab, die ihre Skepsis gegenüber einem Krieg nicht verbargen. Hier taten sich vor allem die Sozialdemokraten mit ihrem Parteiorgan „Vorarlberger Wacht“ hervor, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in den Chor der Kriegsbefürworter einstimmten und vor einem Krieg mit all seinen Folgen, wie Demokratieabbau, Verstoß gegen die Menschenrechte, Pressefreiheit, Zerstörung der Wirtschaft, warnten. Dafür mussten sie sich von der Mehrheit als „vaterlandslose Gesellen“ beschimpfen lassen. Im Vergleich zu den SpitzenvertreterInnen der heutigen Sozialdemokratie in Österreich hatten diese damals noch ein Rückgrat und traten für ihre Ideologie ein, auch um den Preis, beschimpft und diskriminiert zu werden! Sich gegen den Krieg zu äußern, „war unstatthaft, unpatriotisch und wurde gesellschaftlich sanktioniert.“ Das galt insbesondere auch für die Frauen, die schnell zum Schweigen gebracht wurden, wie ein Zitat aus dem Vorarlberger Volksblatt vom 30. 9. 1914 belegt: „An den Männern dieser Zeiten müssen die Frauen lernen, daß sie dorthin gehören, wohin man sie stellt, daß jeder Posten gleich wichtig für die Sache! Und nur diese hat zu befehlen.“

Kirche, Schule und Vereine im Dienste des Krieges

Obwohl der neue Papst Benedikt XV. ein Kriegsgegner war, so nahmen viele seiner Vertreter und Schäfchen teil an der Kriegseuphorie. Durch Waffensegnungen, Gebete, Seelengottesdienste, Wallfahrten usw. wurde der Krieg sozusagen metaphysisch legitimiert. Zitat des Generalvikars Waitz, Weihbischof von Brixen: „Wir sind glücklich, den (Gott) zum Bundesherrn zu haben“.
Auch die Schulen und viele Vereine erwiesen sich als Kriegshandlanger, wo den Kindern und Jugendlichen u. a. durch Kriegsspiele die „Kriegstugenden wie Pflichtbewusstsein, Opferhaltung, Heldentum, Selbstzucht, Disziplin und Vaterlandsliebe“ beigebracht wurden. Diese Kriegspropaganda und Indoktrination wurde dann, wie wir alle wissen, in der Nazizeit perfektioniert.

 

Kurt Tschegg (Hg.), Für Gott, Kaiser und Vaterland, Vorarlberg 1914-1918, EUR 18, Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 62, Feldkirch 2014