Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Jürgen Thaler · 04. Nov 2015 · Literatur

„Das Lachen der Täter ist die Zuspitzung am Gewaltende“ - „Das Lachen der Täter: Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust“ ein Buch von Klaus Theweleit

Klaus Theweleit hat ein Buch über die lachenden Killer geschrieben. Im Gespräch mit Jürgen Thaler spricht der bedeutende Kulturphilosoph über Gewalt und Sexualität, den Körper moderner Terroristen und über ein Lachen, das das Gegenteil von Sprache ist.

Jürgen Thaler: Herr Theweleit, Ihr Buch über das Lachen der Täter ist ein eminenter Beitrag zur „Täterforschung“. Was hat Sie auf die Spur der lachenden Killer gebracht?

Klaus Theweleit: Einige Fälle „lachender Täter“ habe ich schon 1977, bei deutschen Freikorpssoldaten, beschrieben. Im Lauf der Jahre sind sie mir immer auffälliger geworden. Ausgelöst durch den lachenden Killer Breivik und viele weitere solcher Täter habe ich sie nun ins Zentrum gerückt.

Thaler:Gibt es auch weibliche Killer, die Sie dieser universalen „Täter-Species“ zurechnen?

Theweleit: Nein. Weibliche Gewalt äußert sich anders. Herumziehende Frauenhorden, die unter Gelächter die Körper „feindlicher“ Gruppen mit der Machete zerhacken, gibt es nirgendwo. Das hat mit der verschiedenen kulturellen Zurichtung der weiblichen und männlichen Körper in den meisten Weltgesellschaften zu tun.

Thaler: Im Buch nehmen Sie mehrfach Bezug auf ihr epochemachendes Buch „Männerphantasien“ aus den 1970er-Jahren. Sie sehen die lachenden Killer in einer Reihe mit dem in „Männerphantasien“ untersuchten soldatischen Ich des Ersten Weltkriegs. Was sind die Gemeinsamkeiten?

Theweleit: Die Gemeinsamkeit besteht vor allem in körperlichen Zuständen, die ich als „Fragmentkörper“ bezeichnet habe (und bezeichne), die unter bestimmten Bedingungen gesellschaftlich erlaubter Gewalt zu bestimmten Tötungsformen führen, die unter Gelächter der Tötenden gefeiert werden.

Bei allem Schrecken lesbar bleiben


Thaler:
Ihr Buch basiert auf einem grausamen Berg von Berichten über Tötungen, Folter, Gewaltausbrüchen? Wie haben Sie dieses Material zusammengetragen, wie ausgewählt? Wie die analytische Lektüre ausgehalten?

Theweleit: Zum letzten Punkt zuerst: schwerer auszuhalten wäre eine Nichtbefassung; da man doch weiß, dass es diesen Horror gibt. Dann bliebe nur Verdrängung; die schadet. Woher? Überwiegend aus Zeitungen und Nachrichtenmagazinen. „Alles was wir wissen, wissen wir von Journalisten“ (meine ich, diesmal, nicht ironisch). Im Fall Breivik haben wir allerdings sein 1500 Seiten starkes Internet-Manifest. Vom IS die Youtube Videos. Die Anordnung im Buch ist so, dass die LeserIn nicht überfahren wird (hoffe ich). Also schrittweises Vorgehen; Atempausen. Ein Buch muß, bei allem Schrecken, lesbar bleiben.

Thaler: Interessant ist auch, dass Sie Beispiele aus allen Kontinenten präsentieren, Ruanda, Norwegen, Indonesien etc. Damit geht die Annahme einher, dass es im Wesentlichen eben nicht soziale Hintergründe sind, die die Täter zu lachenden Tätern oder zu Tätern überhaupt machen. Warum ist das Lachen für Sie ein distinktives Merkmal, das universal an diesen Tätern festzustellen ist.

Theweleit: Das Lachen stellen sie selber aus; bzw. bricht es aus ihren Körpern beim Tötungsakt hervor. Es hat durchaus verschiedene soziale Hintergründe, die beteiligt sind. Die deutsche Nazi-SS, die Kindersoldaten in Ruanda, die Kommunistenkiller in Indonesien oder Guatemala, ein „Tempelritter“ in Norwegen, die IS-Killer im Irak haben jeweils eigene soziale Hintergründe. Eine bestimmte männliche Körperlichkeit, der, aus welchen Gründen immer, das Töten erlaubt oder befohlen erscheint, hat aber weltweit so viele Übereinstimmungen, und ähnliche Erscheinungsformen, dass von einem Universalismus gesprochen werden kann.

Thaler:Was meinen Sie, ist das Lachen eine Fortsetzung des Sprechens mit anderen Mitteln oder etwas ganz anderes?

Theweleit: Es ist etwas ganz anderes, eher das Gegenteil von Sprache.

Thaler: Es gibt in diesem Zusammenhang ganz unterschiedliche ideologische Hintergründe, die die Täter für sich in Anspruch nehmen. Sie spielen in Ihrer Analyse eigentlich keine Rolle. Ist das Lachen in diesem Sinne eine Sprache, die keiner Ideologie folgt?

Theweleit: Das Lachen ist wortlos. Schon deshalb spielen benennbare Ideologien keine besondere Rolle darin. Es ist Ausdruck einer körperlichen Eruption, die ihren Lustgewinn aus der Zerstörung anderer Körper bezieht. Es gibt männliche Körper, die derart zugrichtet sind – teilzerstört – dass ihnen ein emotionaler Spannungsausgleich, die sogenannte Homöostase, nur in Akten der Gewaltausübung gelingt. Ihre Sexualität ist Gewalt geworden.

Ein Ausdruck blinder, verstockter Natur


Thaler:
Kommen wir nochmals zur zentralen Kategorie des Lachens. Man hat ja gelernt, vor allem von den Theorien Bachtins, dass das Lachen eine herrschaftskritisierende Funktion hat, enwickelt hat Bachtin sie am Werk Rabelais‘. Es geht ja auch bei Bachtin um Grenzüberschreitung etc. Wie kann man das Lachen der Täter in diesem Zusammenhang verstehen?

Theweleit: Bei Bachtin ist das karnevalistische Lachen zentral; das Lachen, das es auf die Umkehrung weltlicher Herrschaftsverhältnisse abgesehen hat. Das Lachen der Täter hat damit wenig gemein. Ich setze an einer Formulierung Adornos und Horkheimers an, für die das Lachen primär ein Gewaltakt ist; der Ausdruck „blinder, verstockter Natur“ wie sie sagen. Dies Lachen habe am andern Ende aber die zivilisatorische Qualität, sich dieser „blinden, verstockten Natur zu begeben“, wie sie formulieren. Dies zivilisatorische Ende bezeichnet eine Bemerkung Freuds, der im lächelnd verzogenen Mund des gesättigten Säuglings, der von der Mutterbrust ablässt, den Ursprung des Lachens sieht. Wir haben 7 Milliarden Menschen auf der Welt, die alle lachen – unter Einsatz der 97 Muskeln am Körper, die am Lachen beteiligt sind. Das Spektrum ist riesig. Das Lachen der Täter ist die Zuspitzung am Gewaltende; das karnevalistische Lachen interessiert in diesem Buch nicht.

Thaler: Entscheidend scheint doch zu sein, zu diskutieren, wie strategisch diese Täter das Lachen einsetzen. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Medien, die das Lachen der Täter in kürzester Zeit um den Weltball schicken können?

Theweleit: Das Lachen beim Töten selber und seine Ausstellung im Netz sind zwei verschiedene Dinge, die aber eng zusammengehören. Der eruptive Ausbruch beim Töten ist nicht „strategisch“ nach außen gezielt, sondern zur Stabilisierung des eigenen fragmentierenden Körpers da; zur Erzeugung des Allmachtsgefühls ungestrafter Übertretung in „göttliche Kriminalität“, wie ich das nenne. Die aufnehmende Kamera und die Ausstellung im Netz ermöglichen den strategischen Einsatz dieses Aktes, z. B. des Köpfens von Journalisten durch den IS. „Wir“, die „ganze Welt“, muss das dann zur Kenntnis nehmen, in Angst und Schrecken versetzt. Während andere, die den Gestus dieser Taten teilen, angeworben werden. Viele dieser Taten werden in dieser Weise extra für die Ausstellung im Netz ausgeführt. Köpfen in der Wüste ohne Kamera hätte keinen Effekt und könnte unterbleiben.

Sprengstoff-Potential


Thaler:
Ist es Ihnen möglich, aus ihrem Wissen um die Täter von heute, nach der Beschäftigung mit den Konfliktfeldern des 20. und 21. Jahrhunderts, Lösungsmöglichkeiten anzudeuten, damit dieser Gewaltrausch, den, so hat man den Eindruck, jede Generation in unterschiedlichem Ausmaß von neuem verfällt, zu unterbrechen?

Theweleit: In vieler Hinsicht ist der Gewaltrausch, der große Teile des 20. Jahrhunderts kennzeichnet, unterbrochen. Der Gewaltpegel in unserer Gesellschaft (und in vergleichbaren Gesellschaften) ist im Vergleich zu den 30er und 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts in großem Maße gesunken. Anders Behring Breivik in Norwegen ist eine absolute (und auch isolierte) Ausnahmeerscheinung in einem sozialdemokratisch und teils auch feministisch orientierten Land. Aber die Weltlage wird bestimmt von den Erscheinungen der Ungleichzeitigkeit, die zwar immer da war, aber unter den Bedingungen der globalisierten Welt viel größere Bedeutung erlangt als früher. Analphabetismus und/oder religiöse Verhaltensweisen und Familienformen, die evolutionsgeschichtlich Tausende von Jahren auseinanderliegen, stoßen unter den Bedingungen der elektronischen Weltvernetzung unvermittelt aufeinander. Ein ungeheures Sprengstoff-Potential. Was wir tun können? In unseren Bereichen so viel wie möglich dazu beitragen, dass ein Boden für gesellschaftliche Gewalteruptionen (etwa gegenüber Flüchtlingen) nicht entstehen kann. Eine Alltagsaufgabe, für alle und Jeden.

 

Klaus Theweleit, Das Lachen der Täter: Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust, 248 Seiten, 22,80 Euro, ISBN 978 3701716371, Residenz-Verlag, 2014

Klaus Theweleit stellt sein Buch am 17. November um 20 Uhr am Spielboden in Dornbirn vor.