Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Michael Löbl · 14. Mai 2023 · Musik

Leuchtende Farben mit breitem Pinsel

Der Pianist Leif Ove Andsnes gastierte mit dem Royal Scottish National Orchestra unter der Leitung seines Music Directors Thomas Sondergard im Rahmen der Vaduzer Weltklassik-Konzerte.

Freunde spätromantischer Orchestermusik kamen am Freitagabend in Vaduz voll und ganz auf ihre Kosten. Sergei Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert und Jean Sibelius' 1. Symphonie – Herz was willst du mehr? Dazu noch ein Orchester, das sehr gerne mit intensiven Farben und breitem Pinselstrich arbeitet, sowie ein Dirigent, dem der Komponist Sibelius eine Herzensangelegenheit zu sein scheint.

Über das hohe Niveau britischer Orchester auch außerhalb Londons wissen Konzertfreaks seit langem Bescheid. Die Klangkörper aus Liverpool, Birmingham oder Manchester gehören zur absoluten Weltspitze, was sich anhand zahlreicher Aufnahmen belegen lässt. In diese Reihe gehört auch das in Glasgow beheimatete Royal Scottish National Orchestra mit seinem Music Director Thomas Sondergard. Es zeichnet sich durch ungeheure orchestrale Power und eine ausgefeilte Tiefenstaffelung aus, im Fortissimo erzeugen die schottischen Musiker:innen eine Klangwolke, die den Saal vibrieren lässt. 

Keltische Einflüsse

Zu Beginn gibt es ein kurzes zeitgenössisches Geschenk aus der Heimat, „Britannia“ des schottischen Komponisten James MacMillan. „Britannia“ ist eine originelle Komposition, ein gut gemachtes Potpourri aus Zutaten wie schottischer Volksmusik, keltischen Einflüssen und Zitaten von Edward Elgar, Thomas Arne oder Benjamin Britten. Das Werk ist virtuos, kurzweilig, sehr rhythmisch und fabelhaft orchestriert. Jede Instrumentengruppe kann zeigen, was sie draufhat. Es gibt sehr viele Effekte in kurzer Zeit und es wäre interessant gewesen, „Britannia“ ein zweites Mal zu hören. 
Der Flügel stand bereits auf der Bühne, Publikum und Orchester bereiteten dem Solisten des Abends einen herzlichen Empfang. Der norwegische Starpianist Leif Ove Andsnes hatte sich mit Sergei Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr 3 einen der größten Brocken der Klavierliteratur vorgenommen. Eigentlich ist Andsnes ja nicht im Lager der Supervirtuosen zu Hause, sein Kernrepertoire ist eher bei Brahms, Dvorak, Schubert oder Mozart angesiedelt. Man soll sich aber nicht täuschen lassen. Andsnes hat auf Tonträgern auch Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, Béla Bartóks gefürchtetes Klavierkonzert Nr. 2, und alle vier Rachmaninoff-Konzerte eingespielt, das Dritte bereits zum zweiten Mal.

Beeindruckendes Klangvolumen

Es war eine fantastische Aufführung. Leif Ove Andsnes spielt dieses pianistisch kraftraubende, schwierige Konzert mit einer überlegenen Leichtigkeit, perfekt positioniert zwischen den Interpretationsansätzen Filmmusik und trocken-analytisch. Andsnes spielte ernsthaft, rhythmisch präzise, servierte dabei alle virtuosen Passagen mit augenzwinkernder Lockerheit. Von den beiden Kadenzen wählte er die längere, in der die klaviertechnischen Anforderungen auf die Spitze getrieben werden. Absolut beeindruckend war das Klangvolumen, das er dem Steinway-Flügel entlockte, jede einzelne der vielen kleinen Noten, jeder Lauf und jede Umspielung, vor allem in der linken Hand, waren deutlich hörbar, und das, obwohl sich das Orchester klanglich keineswegs zurückhielt. Lag das an Andsnes Anschlagstechnik, dem Flügel oder an der Akustik des Vaduzer Saales? Auf jeden Fall ein musikalisches Erlebnis, das noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Ein Meister des Unerwarteten

Wer dachte, der Höhepunkt dieses Konzertes war bereits erreicht, wurde nach der Pause eines besseren belehrt. Die Aufführung der 1. Symphonie von Jean Sibelius konnte mit dem Niveau des ersten Teils problemlos mithalten. Es ist unverständlich, warum diese Symphonie so selten auf den Programmen großer Orchester zu finden ist. Sie hat wirklich alles, was es braucht, um ein Orchester und das Publikum glücklich zu machen: Unendliche Melodien, viele Stimmungswechsel, eine große Palette an Orchesterfarben mit zahlreichen Soli. Puccini und Avantgarde stehen Seite an Seite. Der dänische Dirigent Thomas Sondergard brennt für diese Musik und animiert sein Orchester zu expressivem und energiegeladenem Spiel. Besonders hervorzuheben sind der erste Klarinettist, die Konzertmeisterin und das gesamte Blech. Sibelius ist der Meister des Unerwarteten, nichts entwickelt sich so, wie man es als Zuhörer erwartet, alle paar Takte gibt es eine oder mehrere Überraschungen. Er ist aber auch der Meister des Accelerandos, des Schnellerwerdens über einen längeren Zeitraum, und davon macht er bereits in der 1. Symphonie mehrmals Gebrauch.
Am 17. und 19. Juni wird Leif Ove Andsnes im Rahmen der Schubertiade in Schwarzenberg zu Gast sein. Erstaunlich, dass der sonst so strenge Gebietsschutz der Schubertiade anscheinend nicht jenseits der liechtensteinischen Grenze gilt, von Schwarzenberg nach Vaduz sind es gerade einmal 60 Kilometer. Außer einem Klavierabend ist Andsnes als Partner des Baritons Matthias Goerne mit Franz Schuberts „Winterreise“ zu hören. Auf der vorletzten Seite des Programmheftes ist bereits die nächste Saison der Reihe Vaduz Weltklassik angekündigt, mit Stars wie Martha Argerich, Andreas Ottensamer oder Heinz Holliger. Leider sind diese Konzerte als Zyklus im Netz nicht zu finden, egal, welche Suchparameter man eingibt. Das sollte das TAK als Veranstalter dringend optimieren um die künstlerisch attraktiven Konzerte auch über die Grenze hinweg und vor allem als Abonnement zu bewerben.