Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Martina Pfeifer Steiner · 27. Apr 2022 ·

Kunsthaus Bregenz goes Biennale und besteht glänzend

Die 59. Kunstbiennale in Venedig ist eröffnet! Es lohnt sich vorerst Arsenale und Giardini beiseitezulassen und die Ausstellungen in den Palazzi rundherum ausführlich zu entdecken. In den Räumlichkeiten der Scuola di San Pasquale leistet sich das KUB zum 25-jährigen Jubiläum die Präsenz in der Lagunenstadt mit funkelnden Beiträgen von Otobong Nkanga und Anna Boghiguian.

Nicht von ungefähr assoziiert KUB-Direktor Thomas D. Trummer das klare, lichtdurchflutete Bauwerk der Scuola di San Pasquale aus dem 16. Jahrhundert – neben der Kirche San Francesco della Vigna (Dona Leons Commissario Brunetti quert übrigens immer diesen Campo zu seiner Questura) – mit dem Kunsthaus. Von Lichteinfall und Akustik inspiriert, findet die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga eine schlüssige Weiterführung ihrer aufsehenerregenden Ausstellung vergangenen Herbst in Bregenz ebendort. Wie spannend war es, das Ergebnis der Ausbeutung von Natur und Landschaft im obersten Stock des Kunsthauses als verödeten, in Schollen aufgebrochenen Lehmboden über die Zeit (und mit mehreren Corona geschuldeten Unterbrechungen) zu erleben. Faszinierend durchbohrte ein mächtiger verkohlter Baumstamm von unten bis ganz oben die Geschoße, wandfüllend die wertigen, farbenprächtigen Tapisserien die aus den tiefsten Tiefen des Meeres die Schichten der Erde in hochkomplexen Webereien betrachten ließen. „Ich wollte damals noch eine fünfte Arbeit schaffen, in der alles zusammenfließt, von Leben und Tod, von Landschaft und Spiritualität, von sterbenden Körpern, die wieder Leben ermöglichen“, sagt Otobong Nkanga, und erst später fand sie bei dieser Schau in Venedig den stimmigen Ort dafür. 

Tied to the Other Side

Die großformatige Textilarbeit im Erdgeschoß thematisiert die Suche nach Rohstoffen am Meeresgrund und verwebt menschliche Körperteile, die unter Wasser selbst wieder zu neuen Nährstoffen werden. „In diesem Raum befindet sich, im Boden eingelassen, ein Grab. Das Leben endet nicht im Tod, es ist lediglich eine Transformation in etwas anderes.“ Das barocke Altarbild in der Mitte des Ausstellungsraums – nun hinter der Tapisserie – schmückt Nkanga mit auf Lehmtafeln geschriebenen Gedichten und antwortet mit der neuen Klanginstallation Something New, Something Grew, Something Good". Ihre Stimme verklingt im Raum und wird zum Sinnbild für das menschliche Schicksal.

The Chess Game

Dass die aus Kairo stammende Künstlerin Anna Boghiguian allein und im ersten Stock ihre Arbeit ausbreiten wollte, darüber gab es keine Diskussion. Der schöne, helle Raum wird mit einem Schachbrett aus Spiegeln und dunklem Plexiglas ausgelegt. Die Schachfiguren – auf Holzsilhouetten applizierte Zeichnungen – sind historische Persönlichkeiten österreichischer Herkunft, die „gewissermaßen alle miteinander geistig verwandt sind, ein Panoptikum politischer Ideen und Konflikte“. Marie-Antoinette ist die Hauptfigur von The Chess Game". Die Erzherzogin von Österreich trägt einen mit Rosen geschmückten Hut, sie hatte einen schönen, selbst angelegten Garten, ein leichtes Kleid, sie liebte Baumwolle und zog diese der Seide vor, ihre Nase hält sie hoch erhoben, sie gilt als leichtfertig und verschwenderisch. Ihr Lieblingsfriseur Léonard Autié musste bis zu zwei Meter hohe Poufs aufbauen, in denen kleine Szenarien eingearbeitet waren. Als Königin von Frankreich wurde sie schließlich mit geschorenem Kopf zur Guillotine geführt. Ihr beiseitegestellt wird auch die Schneiderin und Vertraute Rose Bertin. Überliefert ist, dass sie Kleider entwarf, die in heutiger Währung mehrere Millionen kosten würden. Maria Theresia war Marie-Antoinettes Mutter, auch sie ist vertreten. Der Reigen geht skurril weiter, und die dazu gelieferten Bezüge und Texte sind durchwegs lesenswert. Zum Beispiel über Egon Schiele: „Wegen der Art und Weise, wie man ihn und seine Sexualität behandelt hat, habe ich seine Unterwäsche zum Teil des Bildes gemacht. Er starb an der Spanischen Grippe, aus diesem Grund hat er auch eine Maske.“ Springer und Turm kamen als Figuren einfach so dazu, denn sonst würde das Schachspiel ja nicht funktionieren. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung, mit der Anna Boghiguian Ende dieses Jahres das KUB bespielen wird.

Milk of Dreams

Schriller geht es im Österreich-Pavillon in den Giardini der Biennale zu. Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl kreieren eine retrofuturistische Installation, die zur Erkundung von Identitätskonzepten einlädt. Das Generalthema der diesjährigen Biennale „Milk of Dreams“ gibt die in New York lebende Kuratorin Cecilia Alemani vor. Interessant sind sicherlich die mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Beiträge: Die US-Amerikanerin Simone Leigh, die das Dach des amerikanischen Pavillons mit Stroh eingedeckt hat und in ihren großformatigen Skulpturen im Arsenale die Sklaverei thematisiert, und Sonia Boyce, deren Arbeit „Feeling Her Way" im britischen Pavillon ausgezeichnet wurde. 

Anish Kapoor, Anselm Kiefer und Marlene Dumas

Es ist aber auch wert, einen Tag in Venedig anzuhängen, um die unzähligen hochkarätigen Ausstellungen außerhalb von Gardini und Arsenale in Ruhe anzuschauen. Gleich am Anfang des „Trampelpfads“ vom Bahnhof zum Piazza San Marco gibt es im Palazzo Manfrin sehr berührend Anish Kapoor zu sehen, in den Gallerie dell´Accademia, dem Museum mit der wertvollsten Sammlung venezianischer Gemälde, eine Fortsetzung. Schlange stehen – online Ticketbuchung von Vorteil – zahlt sich ebenso vor dem Dogenpalast aus. Anselm Kiefer präsentiert im „Sala dello Scrutino“ eine atemberaubende Arbeit, die mit den beeindruckenden Sälen des Palazzo Ducale und der Geschichte von Venedig in Resonanz tritt. Ein weiteres absolutes Highlight wäre noch im Palazzo Grassi zu entdecken: die Ausstellung „open-end“ mit den Bildern der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas.

KUB in Venedig: Otobong Nkanga / Anna Boghiguian
bis 4.7.22
Mi - Mo 13 - 20 Uhr
Eintritt frei
Scuola di San Pasquale, Venedig

www.kunsthaus-bregenz.at/kub-in-venedig