Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 26. Apr 2022 · CD-Tipp

Rosalía: Motomami

Vor drei Jahren hat die aus einem kleinen Nest in Katalonien stammende, damals 25-jährige Rosalía Vila Tobella – kurz Rosalía genannt – mit ihrem zweiten, gerade einmal dreißig Minuten langen Album „El Mal Querer“ die Pop-Welt ins Staunen versetzt. Es war so etwas wie die Abschlussarbeit ihres traditionellen Flamenco- und Musikproduktion-Studiums am renommierten Catalunya College of Music in Barcelona, die alle Regeln sprengte. Mit einer intensiven Melange aus Flamenco, Electronic-Pop und Latin-Elementen kreierte sie einen noch nie gehörten Sound, der in Kombination mit ihrer höchst wandlungsfähigen, ausdrucksstarken Stimme ein wahres Feuerwerk an Emotionen entfachte. Zur Empörung traditionalistischer spanischer Kreise, aber umjubelt von den sich blitzartig vermehrenden Fans und vom internationalen Musik-Feuilleton. Und gejubelt wird auch jetzt wieder, noch dazu in weit größerem Maße, denn die mittlerweile 28-Jährige erfüllt mit dem Nachfolge-Album „Motomami“ mit spielerischer Leichtigkeit die in sie gesetzten hohen Erwartungen als unkonventionelle Erneuerin der Pop-Musik.

Für die sechzehn Songs des aktuellen Albums wildert sie wieder auf bewährte Weise in den erwähnten Stilen, vermehrt auch im Reggaeton, dem in die Beine gehenden puerto-ricanischen Mix aus Reggae, Electronic und Hip-Hop. Dabei benennt sie alle Zitate und Referenzen haarklein, was zu teilweise absurd langen Credits-Listen führt, um jenen hirnlosen, fanatischen Moralaposteln, die ihr unangemessene kulturelle Aneignungen vorwerfen, ein Schnippchen zu schlagen. Letztlich aber kriegt ohnehin alles ihren eigenen unverwechselbaren „Rosalía“-Stempel aufgedrückt, wird ebenso zum Ausdruck ihrer Vielseitigkeit, wie die vielen unterschiedlichen Rollen, in die sie schlüpft und – damit verbunden – der souveräne Umgang mit der gewaltigen Variationsbreite ihrer Stimme. Die stetige Verwandlung sei das konstante Element ihrer Kunst und ihres Daseins, lässt uns Rosalía im Opener „Saoko“ wissen, einem mitreißenden Latin-Rap, der von einem unglaublich geilen Synthie-Bass vorangetrieben wird, im Reggaeton-Taumel aber auch Platz für ein kurzes Free-Jazz-Piano-Einsprengsel findet. Das darauffolgende balladeske „Candy“ und der mit dem kanadischen Superstar The Weeknd aufgefettete Hitparaden-affine Song „La Fama“ über die Schattenseiten des Starruhms klingen verhältnismäßig konventionell, denn Rosalías Stücke sind ständig irgendwelchen Dekonstruktionen, Verzerrungen und Transformationen unterworfen, wobei diese Experimente verblüffenderweise nie der massentauglichen Eingängigkeit schaden. „Bulerías“ pocht dann mit der vollen Leidenschaft des Flamencos, während „Chicken Teriyaki“ oder das mit kolumbianischen Rhythmen grundierte „Bizcochito“ clubtaugliche Reggaeton-Nummern sind. In größtmöglichem Kontrast dazu folgt die klavier- und streicherumrahmte, nebenbei auch auf japanische Kultur verweisende Ballade „Hentai“, in der Rosalía – immer wieder von eigenartigen elektronischen Salven zerschossen – ihren Lover mit variantenreich lockender Stimme wissen lässt, dass sie ihn demnächst reiten werde wie ihr Motorrad. Die schnellen Maschinen kennt man ja schon vom letzten Album her als Objekt ihrer Begierde, worauf natürlich auch der Albumtitel „Motomami“ abzielt. Für das eigenartig verfremdete Autotune-Stück „Diablo“ zauberte kein Geringerer als James Blake an den Reglern, während „Delirio de Grandeza“ ein zwischen opernhafter Nostalgie und schräger Ironie taumelndes Bigband-Stück ist, und „CUUUUuuuuuute“ zwischen scharfkantigen elektronischen Industrial-Sounds und schmelzendem Schönklang changiert. In „La Combi Versace“ setzt Rosalía nochmals auf Reggaeton und Autotune, während der Closer „Sakura“, der live in einem Stadion aufgenommen zu sein scheint, die gewaltige Bandbreite ihrer natürlichen Stimme zu reduzierten E-Pianoklängen voll zur Geltung bringt. Rosalía pflegt einen experimentellen Umgang mit Stilen und Gefühlen, spielt mit Rollenklischees und Erwartungshaltungen, mit Selbstermächtigung, Rebellion, Liebe, Sex und Erotik. Ihre Interessen sind auch jenseits der Musik breitgestreut. So spielte sie im 2019 veröffentlichten Almodóvar-Streifen „Dolor y gloria“ mit – womit gleich auch ein Blick auf ihre exzellenten Musikvideos empfohlen sei. Und sie interessiert sich auch für Bildende Kunst, weshalb sich auf dem Cover von „Motomami“ – das sie vom Motorradhelm abgesehen nackt zeigt – deutliche Verweise auf Botticellis „Die Geburt der Venus“ und die Strumpfband-Tätowierung von Valie Export finden lassen. Aber das alles kommt mit einem universell tauglichen Pop-Appeal daher, sympathisch und nicht abgehoben. Vielleicht weil Rosalía auf „Sakura“ mutmaßt, dass ihr Popstar-Dasein wohl nicht länger dauern werde als das Leben einer Kirschblüte. Wenn sie das bisherige Niveau halten kann, wird sie damit ausnahmsweise ganz sicher einmal falsch liegen.

(Epic/Columbia/Sony)