Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Ionian · 15. Apr 2012 · Kleinkunst, Kabarett

Streiten Sie noch? Oder lieben Sie schon?

Das Ensemble „Die Grenzgänger“ präsentierte am Freitagabend im ausverkauften Theater am Saumarkt einen heiteren Paarkrimi frei nach Friedemann Schulz von Thun.

Die Österreichpremiere des jungen Ensembles konnte einen großen Publikumserfolg auslösen. Schon im Vorfeld las man auf der Website des Theaters am Saumarkt, dass die Vorstellung ausverkauft sei. Es wurden noch zusätzliche Stühle im Saal aufgestellt, während sich die zahlreichen Besucher in ausgelassener Stimmung angeregt unterhielten. Nicht mal als das Licht ausging, wurden die Stimmen leiser. Erst als Bruno Romer auf dem Flügel ein Solo anstimmte, kamen die überdrehten Gäste langsam zur Ruhe und die Schauspieler betraten mit einem Lied die Bühne.

Über andere lacht es sich leichter

Walter Kikelj und Elke Kikelj-Schwald machten gleich vom ersten Moment an klar, worum es im folgenden Stück gehen würde. Die Paarszenen spielten mit Klischees aus dem Beziehungsalltag, stark überzeichnet und auf das Notwendigste reduziert. So konnte sich jede und jeder entsprechend identifizieren und sich durch die Entfremdung distanziert belustigen. Paare können schon komisch sein, vor allem die anderen! Wie angekündigt redeten sich die beiden um Kopf und Kragen, traten in Fettnäpfchen und tappten immer wieder in die alten Fallen. Das fanden alle lustig außer den Figuren Helga und Hans Mustermann selbst, denen trotz aller Komik zusehends das Lachen verging. Sie manövrierten sich immer wieder zielsicher in Situationen, in die sie nie geraten wollten. In ihrer Verzweiflung wendete sich Helga an Frieda Schnabel, eine Kommunikationsdetektivin. Sie arbeitete analytisch und angelehnt an angewandte Theorien aus Friedemann Schulz von Thuns Dreiteiler „Miteinander reden“.

Kommunikationswissenschaft in bekömmlichen Häppchen

Für die Autorin und Pädagogin Anja Lorenzen waren Schulz von Thuns Texte der Ursprung des Stücks. Die Idee entstand vor drei Jahren, aktiv wurde zwei Jahre daran gearbeitet. Die Besetzung änderte sich aus unterschiedlichen Gründen mehrfach und so wurde öfters „neu“ begonnen. Als Arbeitsweise wurde hauptsächlich improvisiert, gefilmt und dann ausgewählt und bearbeitet. Sie selbst spielte die Figur der Kommunikationsdetektivin. „Diese Figur war schwierig zu schaffen, da sie ja eigentlich nur Theorie vermittelt, was an sich langweilig ist. Deshalb mussten wir sie interessanter gestalten und machten eine überdrehte Verrückte daraus.“ In einer Metaebene zerpflückte sie die Situationen, um Kommunikationskiller zu entdecken und Beziehungsbomben zu entschärfen.

Zusätzlich wurde mit zahlreichen anderen Mitteln gearbeitet. Ein ständig wiederkehrendes Soundsignet zwischen den kurzen Szenen gab dem Stück Soap-Charakter. Die reduzierten Szenen wurden mehrfach durchgespielt und variiert. Sogar die Schauspieler im Stück fragten am Ende nach, ob eine weitere Wiederholung auch wirklich nötig sei. Und doch wurde weiter wiederholt bis zum unvermeidbaren Happy End. Dazu lieferte Frau Schnabel Analysen und versuchte alternative Gesprächsentwicklungen durch. Die beiden Mustermanns fanden sich in einem Moment in einem inneren Zerriss zwischen Engelchen und Teufelchen. Manchmal wurde das Publikum ganz direkt angesprochen. Einzelne Szenen waren Frontalunterricht. Am Ende sprang sogar Jochen Welte aus dem Publikum hoch und mischte sich als Friedemann Schulz von Thun ins Bühnengeschehen ein. Dazwischen gab es immer wieder Songs mit Schmäh und Musicaltouch. Der so geschaffene Reichtum an Abwechslung machte den Theaterbesuch zu einem kurzweiligen Erlebnis.

Grenzen lösten sich auf

Dass das Bühnenpaar auch im wahren Leben ein Paar ist, sei „Sprengstoff“ gewesen. Alle Beteiligten erlebten plötzlich Dialoge aus dem Theaterstück in ähnlicher oder veränderter Form im täglichen Leben, im Umgang mit ihren Liebsten. Diese Momente brachen die Grenze zwischen Realität und Theorie gelegentlich auf. Auf der Bühne sind solche Paarstücke oft heikel und eine große Herausforderung für einzelne Schauspieler. Als streitendes Paar haben Elke und Walter Kickelj(-Schwald) jedenfalls überzeugt. Natürlich durch schauspielerische Qualitäten und hoffentlich nicht aufgrund regelmäßiger Übung, denn sonst wäre das ein zweifelhaftes Kompliment.

Pop Art auf der Bühne

„Streiten Sie noch? Oder lieben Sie schon?“ war vor allem ein spaßiges Beziehungskabarett für Leute, denen das Lesen eines entsprechenden Ratgebers zu wenig unterhaltsam ist. Zwei, drei grundlegende Ideen aus Schulz von Thuns Kommunikationswissenschaft wurden humorvoll vorgestellt und durch Wiederholung eingetrichtert. Unterhaltung stand aber trotzdem im Vordergrund anstatt theoretischem Tiefgang und kritischem Diskurs. Scheinbarer Beziehungsalltag wiederholte sich selbst und auch als Stück wurden (mehr oder weniger) populäre Kommunikationstheorien kopiert. Das Bühnenbild spielte mit wenigen knallbunten Elementen, auch das Plakat war farbgetränkt und so erinnerte das Gesamtkonzept an Pop Art. Banale Gegenstände des Alltags werden isoliert, verfremdet und verarbeitet. Ganz in diesem Sinne wendete sich das Ensemble „Die Grenzgänger“ von der betont intellektuellen abstrakten Kunst ab und dem Trivialen zu. So konnte jede und jeder was damit anfangen und dennoch wurde ein Same gesät, der das eine oder andere Paar vielleicht in manchen Situationen zur bewussteren Kommunikation veranlasst.

(Das Stück wurde bereits zweimal in Ravensburg aufgeführt. Trotz des Besuchererfolges stehen momentan keine weiteren Aufführungen des Stückes auf dem Programm.)