Neu in den Kinos: „Beautiful Wedding“ von Regisseur Roger Kumble (Foto: Leonine)
Peter Füssl · 14. Jun 2023 · CD-Tipp

Joe Lovano Trio Tapestry: Our Daily Bread

Offensichtlich drängt es Joe Lovano, Marilyn Crispell und Carmen Castaldi im Zwei-Jahres-Rhythmus ins Studio, um als Trio Tapestry Eigenkompositionen aus der Feder des Saxophonisten in gefühlvoller und einfallsreicher Interaktion zur Vollendung zu bringen. Nach dem Debüt-Album (2018) und „Garden of Expression“ (2020) traf sich der kreative Dreier letztes Jahr wieder im für seine vorzüglichen Aufnahmequalitäten bekannten Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano, um unter der bewährten Leitung von ECM-Mastermind Manfred Eicher acht neue Titel einzuspielen.

Dabei hielt man sich an das bisherige Erfolgsrezept, wonach, so Lovano, die Band nicht vom Beat geleitet werde, sondern das Momentum in der Melodie und der harmonischen Abfolge liege. In der Tat betätigt sich Carmen Castaldi, den der Saxophonist seit seiner Jugendzeit in Cleveland kennt, nicht als Time-Keeper im klassischen Sinn, sondern treibt das musikalische Geschehen auf höchst sensible Weise durch perkussive Akzente an, kommentiert mit rhythmischer Raffinesse und illustriert durch bunte Farbtupfer auf Trommeln, Gongs und Tempelglocken. Selbst der Stille wird ein Platz eingeräumt in der vorwiegend lyrisch-meditativen Grundstimmung, die aber durch die atemberaubenden Interaktionen Joe Lovanos auf Tenorsaxophon und Tárogató mit ECM-Urgestein Marilyn Crispell am Piano mit einer ganz speziellen Intensität erfüllt wird. Beide vermögen aus einem riesigen musikalischen Erfahrungsschatz zu schöpfen, der sich in einer gelungenen Mischung aus Post-Free-Jazz und kammermusikalischer Attitüde manifestiert. Eröffnet wird mit dem Zwölf-Ton-Stück „All Twelve“, in dem sich Lovanos Expressivität, Crispells interessante Harmoniefindungen und Castaldis subtile Rhythmen bereits höchst reizvoll verschränken. „Grace Notes“ wird von Castaldi und Lovano auf Gongs und Becken eingeleitet, ehe düstere Klavierkaskaden und sehnsuchtsvolle Tárogató-Töne eine Stimmung zaubern, als ob sich am spannungsgeladenen Himmel ein Gewitter ankündigen würde, das sich aber nicht entlädt, sondern mit Gongs und Beckenklängen wieder friedlich ausklingt. „Le Petit Opportun“ ist ein ungemein ausdrucksstarkes Piano-Tenorsax-Duett im Balladentempo. Nicht weniger stimmungsvoll gestaltet sich dann das Titelstück, bei dem sich auch Castaldi wieder wirkungsvoll in Szene setzt. Völlig unbegleitet widmet Lovano seinem jahrzehntelangen Wegbegleiter, dem Bassisten Charlie Haden, eine wunderbar bluesige Hommage auf dem Tenorsax. Das Duett „Rhythm Spirit“ besteht aus einer raumgreifenden, emotionalen Tenorsax-Improvisation, die vom Perkussionisten höchst sensibel umspielt wird, während sich beim Closer „Crystal Ball“ auch die Pianistin wieder in die meditativen Klangmalereien integriert. Ein wundervoll stimmiges Album: „Our Daily Bread“ gib uns nicht nur heute, sondern alle Tage!

(ECM/Universal)