Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Tamara Ofner · 31. Jän 2017 · Gesellschaft

„Totale Religion“ – Jan Assmann und Michael Köhlmeier sprachen im Rahmen der „Tangenten“ am Saumarkt über die Sprache der Gewalt und deren Ursprünge im Alten Testament

Am Samstag, den 28.1.2017, stellte Jan Assmann im Feldkircher Saumarkttheater sein neuestes Werk „Totale Religion“ im Rahmen eines Vortrages der Reihe „Tangenten“ vor. In einem anschließenden Dialog mit Michael Köhlmeier wurden einzelne Aspekte noch genauer beleuchtet und auseinandergesetzt.

Es ist wahrscheinlich nicht nötig, Jan Assmann und Michael Köhlmeier hier ausführlich vorzustellen, dennoch gebe ich einen kurzen Überblick über die Biographie von beiden:

Jan Assmann: geboren 1938, Studium der Ägyptologie, Klassische Archäologie und Gräzistik in München und Heidelberg, Paris und Göttingen. Von 1976 bis 2003 Professor für Ägyptologie in Heidelberg, seit 2005 Honorarprofessor für Allgemeine Kulturwissenschaft und Religionstheorie an der Universität Konstanz. Zahlreiche Publikationen. Mit dem Zusammenhang zwischen Religionen, Gewalt und deren Sprache setzte er sich bereits in seinen vorhergehenden Arbeiten auseinander, so erschien im Rahmen der „Wiener Vorlesungen im Rathaus“ sein Vortrag „Monotheismus und die Sprache der Gewalt“ (Picus Verlag, Wien 2004), der in das Thema einführt. Ebenfalls vorbereitende und bahnende Gedanken finden sich in „Exodus. Die Revolution der Alten Welt.“ (C.H. Beck, München 2015).

Michael Köhlmeier, geboren 1949, Studium der Germanistik und Politologie in Marburg sowie der Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt hat als Schriftsteller zahlreiche Bücher veröffentlicht und ist bekannt für einen äußerst exakten Umgang mit der Sprache.

Auseinandersetzung mit Entstehung und Dynamik von Gewalt

Wenn nun präzise Wissenschaft und exakter Sprachgebrauch aufeinandertreffen, dann führen die Gedanken dieser Gesprächspartner die Zuhörer auf einer ebenso liebevoll wie arbeitsintensiv aufbereiteten breiten und ebenen Geraden durch die Winkel, Verirrungen und Unwege von mehr als 4.000 Jahren schriftlich dokumentierter Religions-, Literatur- und Menschheitsgeschichte. Ein Lebenswerk von Jan Assmann im Dienste der Menschen, denn die Auseinandersetzung mit der Entstehung und Dynamik von Gewalt und den Möglichkeiten, sie gesellschaftswirksam zurückzudrängen, ist zu einer der wesentlichsten Aufgaben des 21. Jahrhunderts geworden.

So stellt "Tangenten"-Kurator Mag. Walter Müller in seiner Einführungsrede eine aktuelle Umfrage vor, die erhoben hat, welche Themen den Bürgern die meisten Sorgen bereiten. Noch vor einigen Jahren vom Großteil der Bevölkerung völlig unbeachtet, ist das Thema Religion auch bei uns durch die aktuellen Ereignisse der IS-Terroranschläge, dem gescheiterten Arabischen Frühling und die in der Folge daraus entstandenen Flüchtlingsbewegungen, aber auch durch die wieder zunehmenden Diskussionen über Kirche und Religion an sich, ins Zentrum der Aufmerksamkeit einer breiten Bevölkerungsschicht gerückt. Hubert Christian Ehalt brachte bereits 2004 bei den „Vorlesungen im Wiener Rathaus“ die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit von Jan Assmann im Vorwort zu Assmanns Vortrag „Monotheismus und die Sprache der Gewalt“ folgendermaßen auf den Punkt: „Nur wenn das intellektuelle Netz aus Kulturwissenschaft und Kulturkritik in einer breiten Öffentlichkeit sehr dicht geknüpft ist, besteht die Chance, den Anfängen zu wehren.“ In diesem Sinne sind auch der „Saumarkt“ und die Veranstaltungsreihe „Tangenten“ Teil dieses Netzwerkes.

Inhaltliche Schwerpunkte

Der Vortrag, das Gespräch zwischen Assmann und Köhlmeier und auch das Buch „Totale Religion“ setzen sich mit folgenden inhaltlichen Schwerpunkten auseinander:

  • „Wegerklärungen“ wie es Köhlmeier nennt: Der historische Zusammenhang und die historisch nachvollziehbaren gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb der Aufzeichnungen von Thora, bzw. im Altem Testament sowie deren Rezeptionen und Umschreibungen im Laufe der Zeit. Im Mittelpunkt stehen für Assmann in diesem Themenkomplex vorwiegend das Deuteronomium und die Makkabäerbücher 1 und 2.
  • Der Sprachgebrauch – und vor allem der Gewalt ausdrückende Sprachgebrauch -, seine historisch nachvollziehbaren Wurzeln sowie Ausbreitungen in diesem Zusammenhangskomplex. Das Wesen und der Stellenwert von Sprache, Schrift und Bildern, bzw. Sprachbildern, sowie die gesellschaftliche Vereinnahmung von Bildern und Sprachbildern aus Thora und Altem Testament in der jüngeren und auch aktuellen Geschichte am Beispiel Carl Schmitt und seiner „Lehre vom Ernstfall“ aus dem Jahre 1932.
  • Der gesellschaftliche Stellenwert von Religion, Politik und Gesellschaft in unterschiedlichen Menschheitsepochen und die jeweiligen daraus entstehenden gesellschaftlichen Dynamiken.
  • Biblische und andere religiöse Motive und Sprachbilder, die aus der Sprache der Gewalt und der tatsächlichen Gewaltausübung wieder herausführen und zu einer Sprache und zu Handlungen des Friedens beitragen, wie im Neuen Testament der Gottessohn Jesus oder als weibliche Figur auch die Gestalt der Gottesmutter Maria.

 

Verhältnis zwischen Gesellschaft und Religion, Religion und Gewalt ...

Assmann geht es in seiner Arbeit um ein grundsätzliches Nachdenken über das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Religion, Religion und Gewalt sowie religiöser Sprache und Gewalt und es geht nicht darum, die Religion (also jedwede Religion) als Gewalt stiftend darzustellen oder aufzudecken, sondern darum, Bedingungen zu beleuchten, unter denen ganze Gesellschaften oder einzelne Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft Religion auch rhetorisch vereinnahmen, um politische Umbrüche mit Gewalt durchzusetzen. Das ist zu allen Zeiten und in jedweder Gesellschaft immer wieder gängige Praxis. Die Funktionsweisen dieser Praxis klar darzustellen und zu beleuchten, ist Assmanns Motivation. Um auf diesem Verständnisfundament aufbauend dann wieder jene Inhalte, Bilder und Sprachbilder ins Bewusstsein zu rufen, die auch die großen monotheistischen Religionen durchaus auch als Frieden stiftende Religionen ausweisen und wirksam machen, neben anderen Friedensbewegungen, wie z.B. jene von Mahatma Ghandi. Jan Assmann und Michael Köhlmeier sind sich am Ende ihrer Ausführungen einig, dass Religionen äußerst ästhetisch sind und auch zum Frieden beitragen können, wenn der Sprache der Gewalt und den gewalttätigen Kräften eben jene Bilder des Friedens, der Liebe und der Nächstenliebe entgegengesetzt werden, die in diesen Religionen auch enthalten sind.

Literaturhinweis: Jan Assmann, Totale Religion, Picus Verlag, Wien 2016.