Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Annette Raschner · 26. Nov 2018 · Gesellschaft

Solidarität und Widerstand werden wieder zur Pflicht – 10 Jahre Hunger auf Kunst und Kultur in Vorarlberg

Mit einem gelungenen Festakt im Theater Kosmos in Bregenz wurde der runde Geburtstag der solidarischen Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur in Vorarlberg" begangen. Ursprünglich war die Initiative schon vor fünfzehn Jahren vom Schauspielhaus Wien in Kooperation mit der Armutskonferenz ins Leben gerufen worden; in Vorarlberg wurde die Aktion auf Betreiben der beiden Leiter des Theaters Kosmos Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig vor zehn Jahren gestartet.

Mitten im Bühnenbild der aktuellen Produktion des Theater Kosmos ("Der Mann, der die Welt aß") waren unzählige Männchen mit leeren Bäuchen, sprich: (noch) leeren Spendenboxen um den Bühnenrand platziert. Produziert von der OJAD, der Offenen Jugendarbeit Dornbirn, sollen sie die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" weitertragen beziehungsweise den solidarischen Gedanken verbreiten.

Das Schlüsselwort lautet Umverteilung anstelle von Almosen. 6.000 Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen haben in den vergangenen zehn Jahren mittels eines Kulturpasses freien Eintritt in zahlreiche Kultur- und Bildungseinrichtungen im Land erhalten. Mittlerweile sind es über hundert Institutionen, die an der solidarischen Aktion teilnehmen, um Menschen vom Rand der Gesellschaft in deren Mitte zu tragen und eine Teilhabe an der vielfältigen Kulturlandschaft Vorarlbergs zu ermöglichen. Laut Statistik hatten 2017 18,1 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher ein Nettoeinkommen unter der Schwelle der Armutsgefährdung von 1.238 Euro. Die Zahl der Armutsgefährdeten bleibt konstant.

Michael Diettrich, Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, erwähnte beim Festakt im Theater Kosmos noch einmal jenes Zitat von Antoine de Saint-Exupéry, das er beim fünfjährigen Jubiläum von "Kunst und Kultur" zum Besten gegeben hatte: "Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer". Heute habe er den Eindruck, dass dieses Leitmotiv nur noch von der Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" hochgehalten würde. In Österreich gebe es zurzeit aber offenbar nur noch eine Sehnsucht: Jene, nur ja nicht gestört werden zu wollen. Diettrich schloss mit den Worten: "Wo unwertes Leben zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."

- und auch Solidarität! Die Festrede hielt der österreichische Philosoph und Professor an der Kunstuniversität Linz, Robert Pfaller, der zuletzt mit der Publikation "Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur" für Aufsehen gesorgt hatte. In seinem informativen und zugleich äußerst unterhaltsamen Vortrag "Die Allmende des Geschmacks" strich er die Rolle der Kultur als Gemeineigentum hervor. Denn: Kunst und Kultur wären zwar einerseits eine Waffe der Distinktion, andererseits trügen sie aber auch das Versprechen in sich, die Unterschiede aufzuheben. "Wir können nur dann über uns hinauswachsen, wenn wir dabei möglichst viele oder alle sind. Nur, wenn die Kultur solidarisch ist, kann sie diese Transformationsleistung der Sublimierung oder der Verwandlung des Abstoßenden in etwas Großartiges erbringen. Darum brauchen wir möglichst alle, und dann gelingt es uns auch vielleicht, eine Gesellschaft herzustellen, in der tatsächlich alle etwas Besseres sind."

Literarische Jubiläumsedition im Reclamformat zum 10. Geburtstag der Aktion:
Der Jäger und der Skorpion. 10 Geschichten für 10 Jahre Hunger auf Kunst und Kultur in Vorarlberg; mit Texten von Michael Köhlmeier, Monika Helfer, Sarah Rinderer, Amos Postner, Stephan Alfare, Christian Futscher, Hans Platzgumer, Nadine Kegele, Gabriele Bösch und Verena Roßbacher