"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Peter Füssl · 29. Mai 2018 · Gesellschaft

Der Ministerratsvortrag zur Mindestsicherung NEU: Schlampig und realitätsfern

"Die Vorarlberger Armutskonferenz - Initiative gegen Armut und soziale Ausgrenzung" hat aus aktuellem Anlass die folgende Presseaussendung ausgeschickt, die wir hier ungekürzt veröffentlichen wollen:

Die nackten Zahlen: Das Aus für das Vorarlberger Modell

Der Ministerratsvortrag vom 28.05.2018 für ein bundesweites Rahmengesetz zur Mindestsicherung stellt zahlreiche bisher geltenden Regelungen auf den Kopf: Versteht bspw. das derzeit gültige Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz die Mindestsicherung noch als staatliche Hilfe zur Führung eines menschenwürdigen Lebens, soll sie nach den Vorstellungen der Bundesregierung nur noch „zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs beitragen.“ Dass die Menschenwürde nicht zufällig unter den Tisch gefallen ist, zeigt ein Blick auf die geplanten Leistungen:

Aus den früheren Mindestsätzen der § 15a-Vereinbarung zur Mindestsicherung, die die Bundesländer mindestens abzusichern hatten, sollen nach Vorstellung der Bundesregierung Obergrenzen werden, die insgesamt nicht mehr überschritten werden dürfen. Für eine Einzelperson beträgt der Höchstsatz demzufolge künftig € 863,04, darin sind die Leistungen für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf vollumfänglich enthalten. Die Bundesländer haben lediglich den Ermessenspielraum, diese € 863,04 zwischen Lebensunterhalt und Wohnbedarf aufzuteilen.

Damit wäre das Vorarlberger Mindestsicherungsmodell Vergangenheit: In Vorarlberg werden bisher € 645,32 pro Einzelperson als Regelsatz zum Lebensunterhalt bezahlt (Stand: 2018) und die Wohnkosten bis zu einer gewissen Grenze in tatsächlicher Höhe zusätzlich erstattet. Damit lag die Mindestsicherung auf Grund der hohen Wohnkosten hierzulande i.d.R. deutlich über den € 863,04 für eine Einzelperson. Mit den nun geplanten Gesamtsätzen sind die Kosten für Lebensunterhalt und Wohnen in Vorarlberg schlichtweg nicht zu decken.

Am schlimmsten trifft es Vorarlberger Familien mit Kindern: Bisher gab es für die ersten drei Kinder einen Zuschuss von jeweils € 187,32, für das 4. bis 6. Kind jeweils € 128,88 und ab dem 7. Kind jeweils € 103,12 – alles ohne Mietkostenanteil, der über den Wohnbedarf zusätzlich abgedeckt wurde. Künftig sollen es inklusive Wohnkostenanteil für das 2. Kind nur noch zwei Drittel des bisherigen Zuschusses sein (€ 129,46), für das dritte Kind nur noch weniger als ein Viertel (€ 43,15) und für das vierte bis sechste Kind ein Drittel (€ 43,15). „Die Familienpartei ÖVP und die soziale-Heimat-Partei FPÖ halten es tatsächlich für möglich, dass eine Familie ab dem 3. Kind nur noch rund € 43 braucht, um dessen Lebensunterhalt und Wohnkosten zu decken! Das ist so etwas von realitätsfern, dass es jeder Beschreibung spottet“, kommentiert der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz Michael Diettrich.

Zwar zielt die Ministerratsvorlage vor allem auf Kürzungen bei AusländerInnen ab. Fallberechnungen der Vorarlberger Armutskonferenz zeigen aber, dass auch österreichische StaatsbürgerInnen quer über alle Haushaltstypen hinweg deutliche Einbußen gegenüber der bisherigen Vorarlberger Mindestsicherung haben werden – bei Vollbezug zwischen 18 und 30 Prozent. Besonders betroffen werden MindestpensionistInnen sein: Die knapp 25 Prozent weniger für Alleinstehende werden dazu führen, dass sie künftig keinen Anspruch mehr haben werden, ihre Mindestpension mit Mindestsicherung aufzustocken.

In Summe ist die Ministerratsvorlage als der Versuch zu werten, eine Deckelung der Mindestsicherung doch noch verfassungskonform umzusetzen: Der Deckel liegt zwar nicht mehr generell bei € 1.500. Aber € 1.553 für eine Familie mit 2 Kindern und € 1.597 für eine mit 3 Kindern sind nur unwesentlich davon entfernt.

Schlampig im Detail

Liest man sich weitere Details des Ministervortrages durch, vermittelt dieser den Eindruck eines unausgegorenen Brainstormings während eines Mittagessens bei der Regierungsklausur.

Schon das im ersten Absatz erwähnte Leitmotiv, mit der Neugestaltung der Mindestsicherung würde „der Anreiz zur ungehinderten Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem neu geregelt“ und der sog. „Pull-Effekt“ für potenzielle Asylsuchende reduziert, zeugt von naiver Einfalt: Österreich ist für Asylsuchende interessant, weil es bekanntermaßen ein wirtschaftlich wohlhabendes Land ist. Was es in diesem Land als Sozialleistungen gibt, weiß kaum ein (potenzieller) Asylwerber. Dass nun ausgerechnet eine Neufassung der Mindestsicherung, deren Details selbst ExpertInnen erst bei mehrmaligem Durchlesen verstehen, einen potenziellen Asylwerber von einer Flucht nach Österreich abhalten soll, ist schwer nachzuvollziehen.

Auch das im Ministerratsvortrag genannte „zentrale Ziel“ der bundesweiten Mindestsicherung NEU, „… die optimale Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu fördern“, zeugt davon, dass die Verfasser dieses Konvoluts weder die Aufgaben einer Mindestsicherung, noch die Funktionsweise des Arbeitsmarktes verstehen. „Das ist Dilettantismus pur! Und bei allem Wohlwollen für das Bestreben, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten: Die Mindestsicherung ist mitnichten ein Instrument, fremdenpolizeiliche Ziele zu unterstützen – wie es im Ministerratsvortrag heißt.“

Völlig abstrus wird es, wenn der Bundesregierung als Maßnahmen zur Erreichen der Ziele der Mindestsicherung Neu nicht mehr einfällt als die „Verpflichtung der Länder zur Erfassung und Übermittlung einer Reihe von Daten“ und die „bundesweite Einrichtung eines wirksamen Kontroll- und Sanktionssystems“. Da weiß die Bundesregierung offenbar nicht, wovon sie redet: Die Daten der Bundesländer zur Mindestsicherung werden bereits von Statistik Austria fein säuberlich und gut nachvollziehbar erhoben. Und außerdem gibt es in Österreich kaum eine Sozialleistung, die so gut „kontrolliert“ und auch „sanktioniert“ wird wie die Mindestsicherung. Dass im Zusammenhang mit der Erwähnung des Begriffs „Sanktionen“ wohl noch jemandem in der Regierung eingefallen ist, man solle doch gleich „bei Straffälligkeit mit Folge einer Freiheitsstrafe (…) einen Bezug der Mindestsicherung (ausschließen)“, passt in das Bild einer wilden Flickschusterei: Wovon sollen Haftentlassene eigentlich leben?

Fazit der Vorarlberger Armutskonferenz

In Summe betrachtet die Vorarlberger Armutskonferenz den Ministerratsvortrag vom 28.05.2018 als einen schlampigen Schnellschuss, der von wenig Faktenkenntnis zeugt. Mit  Blick auf die geplante Abschaffung der Notstandshilfe, muss man die Vorhaben der Bundesregierung sogar als gefährlichen Unfug bezeichnen: Die bisherigen NotstandshilfebezieherInnen kämen dann ersatzweise in den fragwürdigen Genuss einer völlig unzureichenden Mindestsicherung. Wie man in Zeiten, in denen allenthalben vor massiven Arbeitsplatzverlusten infolge der Digitalisierung gewarnt wird, das soziale Netz derart zerstören und die potenziell betroffenen Menschen derart verunsichern kann, ist für die Vorarlberger Armutskonferenz ein Rätsel.

Die Armutskonferenz erwartet von der Landesregierung, dass sie ihre Zuständigkeit für die Mindestsicherung ernst nimmt und sich vehement bei der Bundesregierung gegen eine weitere Verschlechterung des Vorarlberger Modells einsetzt. Die Verringerung der Wohnkostenzuschüsse vor gut einem Jahr hat den hiesigen MindestsicherungsbezieherInnen schon genug Problem bereitet. Noch mehr ist nicht hinnehmbar und nicht machbar.

Bregenz, den 29.05.2018

Verantwortlich für den Inhalt: Michael Diettrich (Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz) c/o dowas, Merbodgasse 10, 6900 Bregenz, Tel 0650 92 36 922

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