Neu in den Kinos: „Teaches of Peaches" Musikdoku des gebürtigen Vorarlbergers Philipp Fussenegger (Foto: Avanti Media Fiction)
Silvia Thurner · 05. Aug 2023 · Musik

Franui, Florian Boesch, Nikolaus Habjan und der unglücklich Verliebte

Stehende Ovationen für die szenische Deutung der „Schönen Müllerin“ von Franz Schubert

Die Textzeile „Der Vollmond steigt, der Nebel weicht“ aus Schuberts „Die schöne Müllerin“ war ein Leitgedanke der szenischen Interpretation des Liederzyklus mit der Musicbanda Franui, dem Bassbariton Florian Boesch und dem Puppenspieler Nikolaus Habjan. Die Aufführung bei den Bregenzer Festspielen stieß auf viel Zustimmung. Beeindruckend war vor allem der musikalische Zugang, den Markus Kraler und Andreas Schett für dieses spezielle Projekt wählten. Florian Boesch belebte den Gesangspart geistreich und war mit darstellerischen Aufgaben viel beschäftigt. Zur Verkörperung des unglücklich verliebten Protagonisten schuf der Puppenspieler Nikolaus Habjan einen maskenhaften Torso. Dieser ließ mehrere Deutungsebenen zu und unterstrich die Gestik des Protagonisten, wirkte aber etwas abstrakt.

Über den Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ (op. 25, D 795) von Franz Schubert nach einem Text von Wilhelm Müller wurden schon unzählige Bücher und vielerlei musikwissenschaftliche, literarische und kulturhistorische Texte, Analysen und Interpretationen publiziert. Die Komposition gilt als eine der bedeutendsten Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Hierzulande können Musikinteressierte „Die schöne Müllerin“ alljährlich im Rahmen der Schubertiade erleben. Eine spannende Frage wäre, wie viele Zuhörende im Bregenzer Festspielhaus die „Schöne Müllerin“ in der Originalversion für Singstimme und Klavier kannten. Für das Empfinden und das Erlebnis der speziellen Werkdeutung von Franui, Boesch und Habjan tat dies jedoch wenig zur Sache.
Gemeinhin wird der Inhalt der „Müllerin“ so gedeutet, dass sich am Ende der unglücklich Verliebte und enttäuschte Müllersbursche das Leben nimmt. Doch dies ist nur eine mögliche Sichtweise, denn unter anderem die romantisch-philosophischen Vorstellungen einer Kunst- und Naturreligion lassen mehrere imaginäre Schlüsse zu. In diese Richtung lenkten auch Florian Boesch, Nikolaus Habjan und die Musikbanda Franui den interpretatorischen Blick. Nachdem sich die Nebel des Liebeskummers gelichtet hatten, leuchtete der Mond mit Lebensfreude spendender Kraft.

Ausdrucksstarker Vokal- und tiefsinniger Instrumentalpart

Im Zentrum der Aufführung stand der ausdrucksstarke Bassbariton Florian Boesch. Mit der Musicbanda Franui und dem Puppenspieler Nikolaus Habjan hat er bereits mehrere Projekte bei den Bregenzer Festspielen realisiert. Schuberts „Schöne Müllerin“ verlangte dem mit Brillanz und sattem Timbre ausgestatteten Sänger einiges ab, denn nicht eine rein lyrische Werkdeutung mit voller Konzentration auf den Vokalpart war ihm auferlegt. Er sang und agierte musiktheatralisch über weite Strecken auch als Puppenspieler. Dies ging teilweise auf Kosten einer detailliert ausgedeuteten melodischen Linienführung und abschnittsweise wurde der Sänger von der klanglichen Dominanz des Ensembles übertönt.
Den eigentlichen Clou landete die Musicbanda Franui aus Innerfilgraten im Osttirol. Das Ensemble rund um Markus Kraler und Andreas Schett eröffnete mit der geistreichen Bearbeitung einen individuellen musikalischen Zugang. Eine andere Hörperspektive auf Schuberts „Schöne Müllerin“ bot zudem das farbenreiche Instrumentarium von Franui, das von Akkordeon über Violine, Saxofon, Klarinette, Bassklarinette, Trompete, Posaune und Tuba bis hin zu Harfe und Hackbrett eine große Klangpalette beinhaltete. Die Musiker:innen spielten den textdeutenden Instrumentalpart bewundernswert detail- und farbenreich. Auf diese Weise öffneten sich Hörfenster, die zahlreiche Parts des Liederzyklus‘ in einem anderen Licht erfahrbar machten. Genau darin lag das besondere Vergnügen der Aufführung dieses Musiktheaterabends.

Reichhaltige musikalische Textdeutungen

Leitmotivisch setzte Franui das Thema des Wassers bzw. Baches ein, das in der „Schönen Müllerin“ eine zentrale Rolle einnimmt. Mit diesem wurde zugleich der Fluss der Zeit und der wandernde Grundduktus angedeutet. Franui hob den Leitgedanken instrumentatorisch auch als Ticken einer Uhr hervor. Zudem dienten Überzeichnungen harmonischer Pfeiler und motivischer Begleitfloskeln als textdeutende Verstärkungen. Viel könnte über jedes einzelne Lied erzählt werden. Doch an dieser Stelle muss eine Aufzählung besonders markanter Passagen ausreichen. In Erinnerung blieb der pointillistische Stil in Der Neugierige, in dem die Musicbanda viele Register ihrer Klangfarbenvielfalt einsetzte und die melodieführenden Passagen nuanciert entfalteten. In Morgengruß führten die Echowirkungen der Trompete, Klarinette, Violine und Posaune und die Anspielung eines Songs eine zusätzliche Bedeutungsebene ein. Eindrücklich kam in Tränenregen das Missverständnis zwischen dem unglücklich Verliebten und seiner Angebeteten zum Ausdruck, als sie seine Tränen als Regen deutete. Ihre Gleichgültigkeit stellte Franui facettenreich dar, indem die musikalischen (Begleit-)Linien wie oberflächlich hingefetzt wirkten. Eindringlich wurde die Frage „Ist es der Nachklang meiner Liebespein? Soll es das Vorspiel neuer Liebe sein“? aus dem Lied Pause im Hinblick auf die Harmonik ausgereizt. Ebenso lenkten die textdeutenden Tonrepetitionen in Die böse Farbe und die nachgeschlagenen Töne in Der Müller und der Bach die Aufmerksamkeit auf sich.
Neben motivischen Anreizen führten Markus Kraler und Andreas Schett die Musik in mehreren Passagen über Genregrenzen hinweg und setzten dabei musikalische Idiome geschickt ein. Unter anderem ließen die choralartigen Passagen in Der Neugierige und die Transformation der Musik in eine Polka mitsamt Ostinatobass in Ungeduld aufhorchen. Gut kam der an jüdische Musik erinnernde Walzer in Des Müllers Blumen zur Geltung. Der Duktus des Trauermarsches und die Anklänge an traditionelle Blasmusik in Pause verströmte eine große Wirkung. Bemerkenswert ist überdies die kurze Anspielung an einen Tango und die Polka schnell während der Todesfantasien in Die böse Farbe. Einen gehaltvollen Sinn machte der Volksgesang in Der Müller und der Bach.

Eigentümlich abstrahierter Torso

Im Bildvordergrund agierten Florian Boesch und Nikolaus Habjan mit zwei Puppen. Für diese Performance hat Nikolaus Habjan nicht seine berühmten Klappmaulpuppen geschaffen, sondern eine Puppe mit maskenhaftem Kopf und Perücke für die Müllerstochter sowie einen Torso mit kahlem Schädel für den Müllersburschen. Weil die Masken keine Mimik hatten, konzentrierten sich die Bewegungen umso mehr auf die Gestik der Arme, die „Körpersprache“ der Puppen und die zwei vielschichtig agierenden Hände. Besonders der Torso wirkte eigentümlich abstrahiert. Die dauernden Kopfbewegungen und die gleichzeitig fehlende Mimik bildeten in meiner Wahrnehmung eine ungewollte Diskrepanz. Dabei waren die Choreografie und die „Personenführung“ von Nikolaus Habjan gut durchdacht und in Verbindung mit der Lichtführung von Paul Grilj hervorragend eingesetzt.