Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Walter Gasperi · 05. Nov 2011 · Film

Zwei an einem Tag

Die „Zwei“ des Titels sind Emma und Dexter, der Tag der 15. Juli. Über 20 Jahre hinweg, jeweils aber auf den 15. Juli beschränkt, begleitet Lone Scherfig in ihrer Verfilmung von David Nicholls Bestseller die Beziehung der gegensätzlichen Protagonisten, die sich am Beginn anfreunden, mal näher, dann wieder distanzierter stehen, aber erst am Ende wirklich zueinander finden. – Wie der Film auf der visuellen Ebene mit Postkartenansichten und Hochglanzbildern an der Oberfläche bleibt, so kommt er in der episodischen Struktur auch nie näher an die Figuren.

Mit dem Dogma-Film „Italienisch für Anfänger“ ist die Dänin Lone Scherfig vor rund zehn Jahren bekannt geworden. Mit „Wilbur Wants to Kill Himself“ (2002) und „An Education“ (2009) gelangen ihr danach in Schottland und England Filme, die vielleicht etwas glatt waren, aber stimmig Gefühle einfingen und eine Atmosphäre evozierten. An diese  Erfolge versucht Scherfig mit „Zwei an einem Tag“ anzuknüpfen, hat sich damit aber wohl übernommen.

Speed Kills

Im Grunde ist alles da, was man für einen romantischen Liebesfilm braucht: Ein Mann und eine Frau, zwischen denen es schon zu Beginn funkt, die aber lange brauchen, um zueinander zu finden; Gegensätze, die aufeinander prallen, und ein genauer Blick für die Zeit und das Milieu, in die die Geschichte eingebettet wird. – Doch weil hier alles im Übermaß da ist, nichts aber wirklich entwickelt, sondern plakativ hingeknallt wird und rasch von einer Szene zur nächsten gesprungen wird, geht das Konzept letztlich nicht auf.
Zu wenig Raum bekommen da Anne Hathaway als Emma und Jim Sturgess als Dexter, um ihre Figuren mit so viel Leben zu füllen, dass ihr Schicksal den Zuschauer wirklich rühren würde. Zu schematisch angelegt wirken sie in ihrer Gegensätzlichkeit, wenn er als oberflächlicher TV-Moderator, der Frauen der Reihe nach abschleppt, aber Angst vor einer festeren Beziehung hat, vorgestellt wird, sie als etwas unbeholfene junge Frau mit hehren Zielen, kulturinteressiert und eine schriftstellerische Karriere anstrebend, die dann aber zunächst als Kellnerin in einem mexikanischen Imbiss jobben muss. In ihrer Deutlichkeit platt ist Scherfig dabei auch in Details, wenn beispielsweise Dexter am Strand eine Zeitung liest, Emma dagegen einen Roman von Milan Kundera.

Plakativ und oberflächlich

Die Gegensätzlichkeit setzt sich freilich auch in den Settings fort. Während Dexter aus reichem Hause stammt, Armani-Anzüge trägt und in angesagten Bars rumhängt, muss Emma mit ziemlich miesen Wohnungen vorlieb nehmen. – Und auch hier ist Scherfig plakativ.
Dass der reiche Schnösel im Laufe der 20 Jahre tief fallen muss, ehe er sich wandelt, versteht sich fast von selbst. Mehr behauptet als wirklich nachvollziehbar bleibt im schnellen episodischen Erzählstil freilich diese Wandlung, kaum eine Entwicklung wird dagegen Emma zugestanden, die von Anfang an bis über beide Ohren in Dexter verliebt ist, sich manchmal zwar im Zorn von ihm abwendet, ihn im Grunde aber nie vergessen kann und sich immer nach einer dauerhaften Beziehung mit ihm sehnt.
Emotionaler und berührender wird dieser Liebesfilm nur in den Szenen, in denen sich Scherfig mehr Zeit nimmt und sie beispielsweise Dexter mit seiner krebskranken Mutter konfrontiert. Das liegt freilich auch daran, dass diese Rolle von Patricia Clarkson gespielt wird, die wie wohl keine zweite Schauspielerin der Gegenwart aus jeder Nebenrolle – und (fast) nur in solchen wird sie bislang eingesetzt - mit ihrer physischen Präsenz eine Hauptrolle macht.

Schick und modisch, statt atmosphärisch dicht

Viel Zeitstimmung müsste im Grunde ein Film vermitteln, dessen Handlung sich über ein Vierteljahrhundert hinzieht, doch Atmosphäre kommt in den teils nur eine Minuten langen Szenen kaum auf, auch wenn im jeweiligen Jahr aktuelle Hits von Tracy Chapmans „Talking about the Revolution“ über „Rhythm of the Night“ bis zur Techno-Party eingesetzt, wechselnde Moden und sich ändernde TV-Shows vorgeführt werden.
Diese Tendenz zum postkartenartigen Ausstellen kennzeichnet auch die Arbeit mit den Schauplätzen. Prächtige Schwenks über Edinburgh gibt es da ebenso wie Blicke über das nächtliche London, Spaziergänge durch die Gassen von Paris oder eine Hochzeit in einer mit mittelalterlichen Kunstwerken prunkenden Kapelle. – Nur Funktion haben all diese Sehenswürdigkeiten keine, dienen einzig als Augenfutter.

Kleiner, aber bewegender: Der Parallelfilm "Dieci inverni"

Wirklich Originalität und auch Witz zeigt Scherfig nur bei den Übergängen zwischen den Jahren, wenn einmal das Datumsinsert förmlich aus dem Toaster zu springen scheint, ein andermal auf dem Laptop eingeblendet wird oder dann wieder im Badezimmerspiegel auftaucht.
Gelungen ist auch die Verschränkung der Zeitebenen am Ende, durch die allein über die visuelle Ebene zum Auskosten des Augenblicks angesichts der Sterblichkeit aufgefordert wird. - Aber für einen Film von 100 Minuten ist das doch etwas wenig. Schöner hat da zweifellos der Italiener Valerio Mieli in seinem zartbitteren „Dieci inverni“ von einer sich über zehn Jahre hinziehenden Langzeitbeziehung erzählt, einem Film der auffallenderweise ebenso 2009 entstand wie David Nicholls Romanvorlage für „Zwei an einem Tag“.