Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Walter Gasperi · 07. Jän 2012 · Film

Ziemlich beste Freunde

Philippe ist ein steinreicher Adeliger, aber vom Hals abwärts gelähmt, sein Pfleger Driss ein kleinkrimineller Senegalese aus der Pariser Banlieue. – Aus solchen Gegensätzen sind Buddie-Movies gestrickt und Eric Toledano und Olivier Nakache nutzen das Potential dieser ungewöhnlichen Freundschaft voll aus. In Frankreich hat sich ihre unbefangen mit dem Thema Behinderung umgehende Komödie zum Kassenschlager entwickelt und ist dort auf dem besten Weg „Titanic“ und „Willkommen bei den Sch´tis“ als erfolgreichste Filme zu überholen.

Ein schwarzer Maserati steht im Stau, schert plötzlich aus, überholt in hohem Tempo und mehrmaligem Spurwechsel andere Wagen, und der schwarze Fahrer (Omar Sy) wettet mit dem weißen Beifahrer (François Cluzet) um 100 Euro, dass er die Polizei abhängen werde. Das gelingt allerdings nicht, das Duo wird gestellt, doch statt klein beizugeben, setzt der Fahrer noch eins drauf und verdoppelt den Wetteinsatz: Keine Strafe werde folgen, sondern die zwei Polizeiwagen würden sie sogar eskortieren. Der vom Hals abwärts gelähmte Beifahrer muss dabei freilich mitspielen und simuliert von sich aus einen Anfall, der unbedingt ärztliche Behandlung erfordert.

Unbefangen, aber nie peinlich

Fulminant ist dieser Auftakt, stimmt auf die Rasanz des Films ein, aber auch auf die Unbefangenheit, mit der Eric Toledano und Olivier Nakache mit Krankheit und Behinderung umgehen. Das französische Regie-Duo kennt keine Betulichkeit, keine Berührungsängste, spielt offensiv in Gags mit der Behinderung. So mitleidlos wie der schwarze Pfleger Driss gehen Toleando/Nakache mit dem steinreichen gelähmten Philippe um, wissen aber doch genau, was sie einem Massenpublikum zumuten können.
Isoliert wie die Pre-Title-Sequenzen in den James-Bond-Filmen steht diese Auftaktszene lange da, denn nach dem Vorspann setzt die Geschichte mit dem Kennenlernen der ungleichen Protagonisten ein. Im Grunde meldet sich der soeben aus dem Gefängnis Driss auf das Stellengesuch Philippes nur, um eine Absage zu erhalten und so Sozialhilfe zu beziehen. Doch dem in einem Stadtpalais mit seinen Bediensteten wohnenden Philippe gefällt dessen Rücksichtslosigkeit. Die ausgebildeten und auf Referenzen verweisenden Bewerber werden abgewiesen, der ungebildete und großmäulige Kleinkriminelle aus den Pariser Banlieue eingestellt, auch wenn er beim Vorstellungsgespräch so nebenbei ein Faubergé-Ei mitgehen ließ.

Plädoyer für Lebensfreude

Auf Klischees reduzieren Toledano/Nakache die Schilderung der unterschiedlichen sozialen Milieus, schlagen daraus aber beträchtliches komödiantisches Potential, wenn sie den kalten blaugrauen Hochhaussiedlungen mit ihren kleinen Wohnungen das edel eingerichtete und in warme Farben getauchte riesige Stadtpalais und dem überbelegten Badezimmer bei Driss´ Familie das Luxusbad bei Philippe gegenüberstellen.
Unangenehm wirkt in diesem Zusammenhang eher das Insert „nach einer wahren Begebenheit“, denn mag man am Ende während des Nachspanns auch Bilder des realen Philippe Pozzo di Borgo und seines arabischen Pflegers Abdel Sellou sehen, so wie in diesem Film dürfte sich ihre Freundschaft kaum entwickelt haben. Nicht die Geschichte, wie sich Menschen aus gegensätzlichen Milieus näher kommen, steht im Mittelpunkt, als vielmehr ein Plädoyer für mehr Lebensfreude durch einen offenen Umgang miteinander.
Den freilich muss der Underdog in die verkrustete Wohlstandsgesellschaft bringen. Er darf bei seiner Pflege frech herumprobieren, das Behindertenfahrzeug ablehnen und den Maserati auspacken, sich und seinem Chef mit einem Joint auflockern, bei Philippes Geburtstagsparty mit „Earth Wind and Fire“ dafür sorgen, dass wirklich noch ausgelassen getanzt wird, und sogar einen persönlichen Kontakt zwischen Philippe und seiner Brieffreundin anbahnen. Doch freilich muss auch Driss von dieser Freundschaft profitieren, lernt klassische Musik und moderne Malerei kennen und beginnt sogar selbst sich künstlerisch zu betätigen.

Sehr unterhaltsam, aber realitätsfern

Von Anfang bis Ende rasant ist das inszeniert, kennt in der Dichte der vielfach auch einfachen Gags bis hin zu Nazi-Kalauern keinen Leerlauf und wird von zwei herrlich aufeinander eingespielten Schauspielern getragen. Jeder Szene sieht man an, mit welcher Lust Omar Sy Driss spielt, wunderbar zurückhaltend agiert François Cluzet und lässt doch die erwachende Lebensfreude, aber auch seine Freude über die Entwicklung von Driss spüren.
So unterhält man sich prächtig bei dieser oberflächlichen, aber perfekt geölten Kinomaschine, bei der nur das Ende schwach und hilflos wirkt, muss darin aber doch ein weltfremdes Märchen sehen. Denn einerseits wird hier von der Luxuspflege für einen Patienten der High-Society erzählt, andererseits werden Schmerzen und Tiefs Philippes, aber auch Schwierigkeiten bei der Pflege vom Duschen bis zum „Einsteigen“ ins Auto verharmlost oder ignoriert. – Für die harten Realitäten des Lebens mit einer Behinderung und die wahre Tristesse des Lebens in den Banlieues ist in einem Feelgood-Movie, das pure Lebensfreude verbreiten will, eben kein Platz.