Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 03. Jul 2014 · Film

Tammy

Tammy (Melissa McCarthy) ist ein wahrer Unglücksrabe. In der Fast-Food-Bude gekündigt, vom Ehemann betrogen, zieht sie mit ihrer kruden Großmutter (Susan Sarandon) durch das Land. Vom Dilettantismus und der Körperhaptik, die diese female Gross-out Comedy abfeiert, braucht Hollywood mehr.

Einen Charakter, der wie die titelgebende Tammy (Melissa McCarthy) auf eine derart mitleidlose Umwelt stößt, und diese Haltung ohne Rücksicht auf Verluste auch noch gegen sich selbst richtet, trifft man – zumal in Komödien – nur selten an. Tammy wird an einem Unglückstag, dem Auftakt des Films, im Fastfood-Lokal gekündigt, ihr Auto verweigert ihr auf der Fahrt nach Hause den Dienst, und dort angekommen findet sie die Nachbarin an der Seite ihres Ehemannes vor. So etwas kann passieren, in einer Komödie der Farrelly-Brüder („Verrückt nach Mary“) sowieso, aber auch bei einem anderen Vorreiter der Gross-out Comedy Adam McKay („Anchorman“), der diesmal gemeinsam mit Will Ferrell als Produzent aufscheint. Was in solchen Komödien aber eher nicht passiert, ist, dass die Hauptfigur von der ersten Sekunde an ein fauchendes, röchelndes, verschwitztes, zwischen Rachegeist und resignativem Opfer changierendes, wandelndes Unglück darstellt, das mit großer Konsequenz der naturalistischen Interpretation seiner Rolle bis zum Ende treu bleibt. Auch wenn es die mäkelnde US-Presse anders sieht: Melissa McCarthy („Bridesmaids“) setzt als Tammy in ihrer ersten echten Hauptrolle durchaus gewinnbringend auf körperbetonte, haptische Schauspielkunst und macht dabei ein Spannungsverhältnis zwischen massiver Präsenz und stiller Verzweiflung höchst produktiv. An ihrer Seite Susan Sarandon, die als Grandma mit Wasser in den Beinen dagegen sogar ein bisschen grau aussieht.

Blamage als Konzept

„Tammy“ ist kein Film der leisen Töne, sondern ein kruder, zielloser Roadtrip, der auch dramaturgisch ein wenig out of focus wirkt. Die beiden Frauen schlagen eine Schneise der Verwüstung durch das Land, ohne sich oder einem Ziel näher zu kommen außer jenem, einfach das zu tun, was sich im Moment so anbietet. Das hat Charme. Denn aus diesem Roadmovie generieren sich keine falsch interpretierten Freiheitsgefühle, die eigene Schwäche, ja die Unsicherheiten gegenüber den Konventionen der Außenwelt reisen immer mit. Dass Tammy beim Anblick eines kitschigen, aus Holz geschnitzten Adlers, der an einem Seeufer thront, in Begeisterung ausbricht, ist mit der ungeschickten Anbahnung gegenüber einem hölzernen Jungbauern gleichzusetzen, in den sie sich verliebt hat – weil er nunmal ihre Wege gekreuzt hat. Privilegien und der Glaube an die Gestaltung der Umwelt sind in „Tammy“ ungefähr so unerreichbar wie der Mars von der Erde. Das bedingt eine Komödie mit Abstrichen: der hier präsentierte Spaß ist oftmals mit einer absichtsvollen Note der Melancholie vergällt. Auch wenn es der Regie (McCarthys Ehemann Ben Falcone) zuweilen an Rhythmusgefühl und auch an Pointendichte fehlen mag, nimmt einen gerade das Ungelenke dieses Films für sich ein: Entgrenzung, Blamage, und ein Scheiß-drauf-Draufgängertum sind das Konzept, wo scheinbar die Perspektive fehlt. Von diesem Dilettantismus bräuchte Hollywood ganz sicher mehr.