Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 09. Mai 2013 · Film

Stoker - Die Unschuld endet

Mia Wasakowski wird als Mädchen vom Land erwachsen. Der Besuch ihres seltsamen Onkels, mit dem sie eine Vorliebe zur Gewalt verbindet, ist dabei nicht unwesentlich. Coming-of-Age als blutiges Abenteuer, in dem Tod, Erotik und Mut zum Kitsch die Energiequellen bilden.

Achtung, dieses Mädchen kann das Gras wachsen hören. Der sinnfällige Spruch über Menschen, die ein bisschen zuviel in ihre Umwelt hinein interpretieren, erfährt in der Rolle der fantasiebegabten India (Mia Wasakowski) eine ganz spezielle Ausprägung. Auf geheimnisvolle Weise mit der Natur verbunden, knistert und wispert diese als viel zu laute Tonspur zu ihr, was beim Zuseher wiederum den Eindruck erweckt, er hätte es entweder mit einem nicht ganz menschlichen oder gänzlich abseitigen Wesen zu tun. Beides trifft irgendwie zu. Eben durch den Tod ihres geliebten Vaters vereinsamt, nabelt sich India von ihrer Mutter (Nicole Kidman), einer distanziert-pikierten, jedenfalls unfertigen Persönlichkeit, einigermaßen ab. Als am Tag des Begräbnisses aber ihr ebenfalls recht seltsamer Onkel (Matthew Goode) auftaucht, kommt Bewegung in dieses großbürgerliche und ziemlich entrückt wirkende Anwesen in einer satten grünen Natur. In einem plötzlichen Adoleszenzschub lässt Regisseur Park Chan-wook die 18-Jährige, die bereits amouröse Blicke zwischen ihrem Onkel und der Mutter zu beobachten glaubt, alsbald in eine Ménage-à-trois mit den beiden eintreten. Was danach folgt ist ein blutiger Reigen aus inzestuös motivierten, erotisch aufgeladenen Gewaltszenen (oder sind es Fantasien?) und ästhetischen Spielereien, was sich letztlich wie eine Variation aus Parks bisherigen Regiearbeiten, darunter „Oldboy“ und „Sympathy for Lady Vengeance“, wirkt.

 

„Stoker“ als amourösen Thriller zwischen schräg gesetzten Slacker-Perspektiven und abseitiger Psycho-Programmatik zu beschreiben, wäre nur die halbe Wahrheit. Ziemlich selbstverliebt verfängt sich der Film immer wieder in seinen kunstvoll gesetzten, visuellen Ideen, die zwar schön anzuschauen sind, einem bei der Frage, was um Himmels Willen hier vor sich geht, nicht unbedingt weiterhelfen. Grabsteine als kreisrunde Kugeln und ein Käfer, der den Mist vor sich her rollt, sind interessante Gleichsetzungen, für die man allerdings schon Freud zu Rate ziehen müsste. Dazwischen fehlt es auch nicht an ikonischen Standards, die Spinne, die India zwischen den Beinen hochkriecht, erzählt im Gothic-Fach gerne von einer gewissen Verderbtheit. Dass Morden durchwegs lustvoll sein kann, zudem „im Blut“ der Familienbande weitervererbt wird, muss in „Stoker“ – der Name verweist nicht zufällig auf den Autor von Graf Dracula – als gegeben hingenommen werden. Die gespitzte Mine eines Bleistifts kann sich leicht mal in die Hand eines aufdringlichen Mitschülers bohren, die Fantasie von Eisleichen im Keller oder strangulierten jungen Männern im Wald – oder ist das nun wieder Realität? – all diese seltsamen Ereignisse knüpft Regisseur Park zu einer Art Komplizenschaft zwischen India und ihrem Onkel, deren Ziel offenbar die Beseitigung potenzieller Rivalen und ein rauschhaftes Leben zwischen Thanatos und Libido ist. Wer sich auch ohne die Gewissheit eines höheren Sinns zufrieden gibt, und ein Universum fantastischer Visuals zwischen Adoleszenz und Kitsch nicht scheut, könnte dennoch einen netten Abend verbringen. Wasakowski, Kidman und Goode zeigen sich durchwegs in Spiellaune.