Das Nederlands Dans Theater 2 beim Bregenzer Frühling (Foto: Udo MIttelberger)
Walter Gasperi · 04. Sep 2011 · Film

Sommer in Orange

Wenn sich eine Bhagwan-Kommune in einem bayrischen Dorf niederlässt, sind Konflikte vorprogrammiert. Zwischen die Fronten von Om und Amen, oranger Pluderhose und blauweißem Trachtenrock gerät dabei die 12-jährige Lili. – Gut gelaunt und in vielen Details gelungen ist diese Culture-Clash-Komödie der etwas anderen Art, doch „Wer früher stirbt, ist länger tot“-Regisseur Marcus H. Rosenmüller reißt letztlich zu viele Themen an, entwickelt aber keines zwingend.

Ganz in Orange gehalten ist der Vorspann und die 12-jährige Lili (großartig: Amber Bongard), aus deren Perspektive Marcus H. Rosenmüller erzählt, stellt Protagonisten und Ausgangslage vor. Mit dieser Lili verarbeitet Drehbuchautorin Ursula Gruber eigene Erfahrungen, wuchs sie doch mit ihrem Bruder Gregor, der den Film auch produzierte, in einer Bhagwan-Kommune südlich von München auf.
Man schreibt das Jahr 1980 und Lili lebt mit ihrem kleinen Bruder Fabian und Mutter Amrita (Petra Schmidt-Schaller) - der Vater ist gerade auf der Rainbow Warrior für Greenpeace unterwegs - in einer Bhagwan-Kommune in Berlin Kreuzberg. Doch dann erbt Mutters aktueller Freund Siddharta (Georg Friedrich) einen Bauernhof in Bayern und ein Teil der Kommune übersiedelt mit orangem VW-Bus und oranger Ente, um in der süddeutschen Provinz ein Therapiezentrum aufzubauen.

Culture-Clash der anderen Art

Bald treffen schon Weißwurst und Leberkäse auf vegetarisches Denken – wobei es manch einer in der Kommune damit heimlich doch nicht so genau nimmt -, die orangen Pluderhosen auf blauweiße Trachten, solid bürgerliches Leben auf Gedanken von freier Liebe. Mit Argwohn blickt die Dorfbevölkerung vom Bürgermeister über Pfarrer bis zur neugierigen alten Frau auf das Treiben auf dem Bauernhof, verdächtigt die Neuen bald, eine teuflische Sekte oder gar RAF-Terroristen zu sein. In ihren Grundzügen erinnert die Schilderung dieser Kommune und der aufeinander prallenden Gegensätze an die Welt, die Marie Kreutzer in den Rückblenden von „Die Vaterlosen“ schildert. Doch Rosenmüller schlägt freilich ungleich leichtere Töne an, will nicht Drama, sondern Komödie bieten.
Vor allem Lili bekommt den Culture-Clash zu spüren, denn während die Erwachsenen – sowohl Dorfbewohner als auch Bhagwan-Anhänger weitgehend in ihrem Umfeld bleiben -, muss sie mit ihrem Bruder in die dörfliche Schule, wo sie auf die andere Welt trifft. Von der Mutter vernachlässigt, sucht sie bald Anschluss in der Klasse, möchte am Dorffest teilnehmen und in einen Verein, sei es nun Burschenschaft, Trachtengruppe, Schützenverein, Kirchenchor oder Bürgermusik aufgenommen werden.
Ihre Mutter dagegen denkt nur an ihre Selbstverwirklichung und geht auf Kurs nach München, wo Bhagwans rechte Hand Prem Bramana (Thomas Loibl) auf sie abfährt und seinen Besuch in Talbichl ankündigt.

Anklänge an „Wer früher stirbt, ist länger tot“

Nicht nur mit der kindlichen Erzählperspektive und dem ländlichen Ambiente knüpft Marcus H. Rosenmüller an seinen Erfolg „Wer früher stirbt, ist länger tot“ an. Wie dort hat auch hier die Protagonistin schwere Probleme und an die Stelle der Alpträume von der Hölle rücken hier Lilis Visionen von Bhagwan, der sie auffordert das Fremde nicht abzulehnen, sondern zunächst einmal kennenzulernen und ihren eigenen Weg zu gehen. „Sei einfach du selbst“ ist seine – und damit auch Rosenmüllers – Botschaft und er fordert den Zuschauer auf den anderen in seiner Eigenart zu akzeptieren.
Das ist mit sichtlichem Vergnügen gespielt und inszeniert, besticht in vielen Details, die spüren lassen, dass Rosenmüller das ländliche Bayern kennt. Treffend und entlarvend, aber nie verletzend, sondern immer warmherzig ist sein Blick sowohl auf die konservative Dorfbevölkerung als auch auf die Bhagwan-Jünger. Alles andere als heil ist diese Welt nämlich: Von freier Liebe wird zwar geredet, aber wenn Amrita mit Prem Bramana ins Bett steigt, wird Siddharta doch eifersüchtig und sauer ist auch ein Mitglied der Kommune als Leela (Brigitte Hobmeier) mit dem Briefträger des Ortes anbandelt.

Unterhaltsame, aber kurzatmige Szenenfolge

Vor lauter Ich-Bezogenheit, Stein der Erleuchtung und Nackt-Tänzen, Urschrei und Kissenschmettern zum Aggressionsabbau hat freilich niemand Zeit für die Kinder, die sich um sich selbst kümmern müssen. Kein Frühstück steht da morgens auf dem Tisch, sondern sie müssen es selbst zubereiten oder eben schauen, woher sie das Essen bekommen. Auf ihrer Seite steht Rosenmüller, zeigt eindringlich, wie Lili sich von der Mutter verlassen fühlt, spiegelt dann aber auch überflüssigerweise Lilis Mutterhass in dem Mutterhass ihrer Mutter.
Unterhaltsam ist dieser nostalgisch-ironische, karikaturistisch überzogene Blick auf eine vergangene Zeit, lebt aber auch mehr von einzelnen Momenten und Details als vom großen Erzählbogen. Denn zu vieles reißt Rosenmüller an, ohne es dann weiter zu entwickeln: Mehr hätte man sicher aus der Schilderung des Lebens in der Kommune herausholen können, mehr aus dem Culture-Clash und mehr auch aus der zentralen Geschichte Lilis. – Aber Spaß macht „Sommer in Orange“ weitgehend doch, verbreitet gute Laune und endet natürlich versöhnlich.