Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 22. Sep 2017 · Film

Schloss aus Glas

Ein Familiendrama aus den USA, basierend auf der Autobiographie von Jeannette Walls, deren Härten sich in der Verfilmung auf irritierende Weise verflüchtigen.

Mit der Freiheit ist das so eine Sache. Sie hört bekanntlich da auf, wo die des anderen beginnt. Im Fall der Familie Walls ist die Freiheit grenzenlos, allerdings nur für den Vater selbst. Ein umhervagabundierender, psychisch auffälliger Alkoholiker (Woody Harrelson), dessen Eskapaden die vier Kinder und seine konturlose Ehefrau (Naomi Watts) zu ertragen haben. „Schloss aus Glas“ spielt in den USA der Sechziger Jahre, als der American Dream noch ungebrochen erschien, doch bereits in dieser Erzählung zeigen sich tiefe Risse. Der Film basiert auf einer Autobiographie von Jeannette Walls, die zum Bestseller wurde. „Schloss aus Glas“ entfaltet sich in ausgedehnten Rückblenden und ist in ihrem Kern die Erzählung eines Missbrauchs: jene elterliche Verantwortung, die im Fall von Vater Rex – sofern vorhanden – schnell in Gewalt umschlagen kann. In einem Schwimmbad, in dem die Walls die einzigen Weißen unter Afroamerikanern sind, wirft er seine Tochter diabolisch lachend immer wieder ins Wasser, unter dem Vorwand, dass sie so schneller schwimmen lernen würde. Es gibt einige Szenen wie diese, in denen Regisseur Destin Daniel Cretton Bilder für die manipulative Macht dieses Mannes findet, der seiner Familie Freiheit verkündet und sie in Wahrheit zu Gefangenen macht. Als die Walls zum wiederholten Mal übersiedeln müssen, landen sie in einer Bruchbude, von der Rex verspricht, sie in ein „Schloss aus Glas“ zu machen. Dass es dazu nie kommt, muss nicht erwähnt werden, diese Familie bleibt ein Scherbenhaufen.

Filter der Erinnerung


Irritierend an dieser Inszenierung ist allerdings, wie sie sich mit den Familienverhältnissen schleichend arrangiert. Immer wieder greift der Film die Versprechungen des Vaters auf und stellt seine der Vaterfigur entgegengebrachte Empathie damit in scharfem Kontrast zur Buchvorlage, die geradezu von einer geraubten, traumatischen Kindheit berichtet. So perfid Woody Harrelson die Praktiken der Macht auch darzustellen vermag, so geradezu beschwichtigend wirkt die Handschrift dieses Films. Wiewohl in Rückblenden erzählt, wirken diese so, als würden wir nicht die Vergangenheit als unmittelbare Gegenwart erleben, sondern diese durch die Brille einer merkwürdigen Verklärung sehen. Dabei sind die Erinnerungen der ältesten Tochter Jeannette Walls (Brie Larson), aus deren Perspektive der Film erzählt ist, durchaus bitter. Dennoch greift Regisseur Cretton anstatt der glasklaren, rauen Sätze von Walls immer wieder gerne auf metaphorische Szenen zurück. Als die Familie eines Abends irgendwo in einer Savanne zwischen Joshua Trees strandet und hier unter freiem Himmel nächtigt, malt Mutter Rose (Watts) einen der Bäume, der verkrüppelt ist. Die Schönheit des Baumes, erklärt der Vater den Kindern, liege in seinem Kampf um das Überleben. Die Brutalität, die in diesen Worten liegt, wird in „Schloss aus Glas“ aber nur in ausgewählten Momenten spürbar.