Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 29. Nov 2012 · Film

Paradies: Liebe

Wo Ulrich Seidl Liebe verspricht, tritt selbstverständlich etwas anderes zum Vorschein. Der erste Teil der Paradies-Trilogie erzählt vom simplen Mißverständnis, dass Liebe käuflich ist.

Ulrich Seidl sagt, die stets gleichen Angriffe parierend, über seine Filme, dass er die Wirklichkeit so filmt, wie sie ist. Das ist natürlich streitbar, weil er eine äußere Objektivität behauptet, um diese dann in ganz radikal und subjektiv entworfenen Tableaus auszureizen. Seidls Thesen zur Realität sind allerdings dazu angetan, die schlimmsten Seiten der Wirklichkeit wie Pflaster über den Wunden wegzureißen, mit denen die Menschheit sich zu trösten, zu schützen sucht und zu vergessen. Im ersten Teil seiner Paradies-Trilogie, „Liebe“ setzt Seidl auf eine übergewichtige mittelalte Wienerin, die schmerz- und glaubhaft von Margarethe Tiesel (Teresa) dargestellt wird. Diese Hauptfigur wird mit der naiven Vorstellung ausgestattet, in Afrika der Liebe zu begegnen. Dass also afrikanische Männer „anders“ wären, weil sie dort zu finden glaubt, was ihr in Österreich verwehrt wird. Natürlich meint es das Drehbuch nicht so gut mit Teresa. Bezahlte Liebe sieht auch in Afrika nicht anders aus, wiewohl hier die Kundschaft nunmehr aus Frauen besteht, während die Dienstleister, Loverboys vom Strand, für das Geld auch ein wenig Beziehung und Zärtlichkeit vortäuschen. In gewohnt tragikomischen Szenen, deren tatsächlicher Gehalt aber quälend bis an die Grenze zur Degradierung der Figuren reicht, spielt Seidl diese ungleichen Beziehungsversuche durch, bis nichts mehr geht. Nach diversen Geldgaben Teresas, auch für immer neue, kranke Familienangehörige der Liebesburschen, schlägt die naive Verzweiflung in kaltes Ressentiment um. Der Strand unter Palmen, das Traumhotel werden nunmehr zur Rachekulisse, in der niemand seine Würde zu wahren vermag.

Symmetrie der Ausbeutung

Die visuellen Arrangements, die Seidl sich für Frust und Vertrauensverlust ausgedacht hat, und die auch jedesmal hervorragende Filmposter abgeben, führen einmal mehr zur Frage, wie exploitativ seine Filme funktionieren. Wiewohl Seidl darauf beharrt, nicht der Provokation wegen zu provozieren, sondern um seine gesellschaftlichen Spiegelbilder möglichst deutlich auszugestalten, steht zu bezweifeln, dass besonders drastische Szenen dieser Geschichte einen Mehrwert verschaffen können. Wenn gegen Ende minutenlang ein Afrikaner als billiger Sexsklave weißer Frauen inszeniert wird, wirkt das selbst schon etwas billig. Der Warencharakter der Schwarzen, den die weißen Frauen quasi als Entschädigung für ihre eigenen traurigen Erfahrungen beanspruchen, tritt ohnehin in fast jeder Szene dieses Films zum Vorschein. Eine an sich fragwürdige  Symmetrie, auch wenn sie in der Logik ökonomischer und emotionaler Ausbeutung von  „Paradies: Liebe“ stimmig sein mag. (Lust ist in diesem Film nie im Spiel.) Dass Seidl, um seinen Wirklichkeitsanspruch einzulösen, auf echte Loverboys setzt, auf authentische Schauplätze, improvisierte Szenen und sichtbaren Körpereinsatz, ist von einem „echten“ Seidl-Film nicht zu trennen. Damit bleibt aber auch die Frage virulent, wo die Grenze zur Ausbeutung überschritten wird. Für die Profi-Schauspielerinnen wie Margarethe Tiesel, die bereit sind, sich über die Maßen zu exponieren, und für die Laien-Darsteller, die ihr Leben für den Filmset scheinbar gar nicht verlassen haben.
Am 11. Jänner 2013 geht es weiter mit Maria Hofstätter in Teil 2, „Paradies: Glaube“.