Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 11. Jun 2015 · Film

Love & Mercy

Kein Beach-Boys-Portrait, sondern der Schaffens- und Leidensweg einer verqueren Künstlerpersönlichkeit: Brian Wilson als von seinem Vater drangsaliertes Subjekt, das ein Leben lang um seine Autonomie ringt und dabei fast untergeht. Paul Dano und John Cusack repräsentieren die zwei Gesichter dieses Mannes.

Man fühlt sich in manchen Momenten in „Love & Mercy“ an die Geschichte von Michael Jackson erinnert: ein talentierter, sensibler Musiker, der unter dem gewaltsamen Druck seines Vaters zusehend sich selbst verliert. Regisseur Bill Pohlad zeigt, wie die Persönlichkeit von Brian Wilson zerbröselt, der in frühen Jahren noch die kleinsten Geräusche dieser Welt als geniale kreative Sound-Impulse für sein Schaffen erfühlt und später, im Tonstudio, den Kopfhörer nicht mehr aufzusetzen vermag, ohne dass daraus in grässlich verzerrten Tonlagen die Stimme seines Vaters zu ihm spricht. „Love & Mercy“ bemüht dafür nicht das beliebte Narrativ des quälend-langsamen Niedergangs eines Künstlers, sondern setzt mit zwei Zeitebenen einen harten Schnitt zwischen dem solitären Creative Artist der 60er-Jahre und dem völlig ausgebrannten, entmündigten Wilson der 80er-Jahre. Wie schon im Bob-Dylon-Portrait „I’m Not There“ (Drehbuch auch hier von Oren Moverman), wenn auch in der Form nicht so radikal angelegt, wird auch in „Love & Mercy“ der Portraitierte von zwei ganz unterschiedlichen Schauspielern verkörpert: Paul Dano ist jener Brian Wilson, der die Tiere ins Studio holt (für das Album Pet Sounds), der den Sound der Beach Boys quasi im Alleingang kreiert und der eigentlich kein LSD und andere zeitgeistige Bewußtseinserweiterungen der Sixties mehr gebraucht hätte – Dano’s breitgesichtiger, unerfahrener Brian Wilson komponiert bereits auf einem anderen Stern. Ganz anders die 80er-Jahre, die die Rahmenhandlung und Jetzt-Zeit des Films präsentieren: John Cusack führt hier in der Manier von Dustin Hoffman („Rain Man“) einen geradezu autistisch eingeschränkten, von gestischen Monotonien geprägten abgemagerten Menschen vor, der mit dem Aussehen von Paul Dano nichts zu tun hat. Nicht mehr in der Lage zu komponieren, von Drogen und psychischem Stress gezeichnet, wird er von einem Psychiater (diabolisch: Paul Giamatti) kontrolliert, der Wilson auch noch zum Komponieren zwingt, weil er selbst prozentuell an Wilsons Einnahmen beteiligt ist. In diesen Szenen reizt Regisseur Bill Pohlad nahezu das gesamte emotionale Potenzial seines Publikums aus: Wilson, der arme zugerichtete Kerl, wird von seinem eigenen Arzt wie ein Sklave malträtiert, während nur eine Frau, die sich in Wilson verliebt, als einzige Gegenspielerin den armen Mann befreien kann: Elizabeth Banks als Cadillac-Verkäuferin und zweite Ehefrau Wilsons wird zur Befreierin des somnambulen Beach-Boys-Genius und bringt ihn mit tröstlicher Zuneigung wieder ins Leben zurück.

Zwei Seiten eines Portraits

Dass „Love & Mercy“ kein Beach Boys Feature, keine nostalgische Abrufung von deren – aus heutiger Sicht – wohl eher enervierenden Soundscapes ist, sondern die tragikomische Geschichte eines Mannes, den eine mitfühlende, liebevolle Frau rettet, das ist ein gutes Argument für diesen Film. Gerade der enge Fokus auf Wilsons Person ist die Stärke und Schwäche dieses Projekts: einerseits entwirft der Film die Vision einer Persönlichkeit, wie man Brian Wilson umreißen könnte, andererseits geht dadurch viel vom Umfeld verloren. Gerade die Rolle von Elizabeth Banks als engagierte Zeitgenossin und schließlich auch Geliebte könnte zeigen, wie falsche Autoritäten in den 80er-Jahren überwunden werden konnten. Banks Rolle ist sehr auf die liebende Frau beschränkt, auch wenn die Schauspielerin dennoch ihren Spielraum auf eindrückliche Weise in diesem Film auslotet. Am Ende des Films steht aber dennoch nicht das befreite Subjekt sondern Paul Dano als Wunderkiste einer Musikerpersönlichkeit: ängstlich und freigeistig, getrieben und Antreiber, ein hochsensibler Geist, dem die Sympathien gerade für seine Eigenständigkeit gehören.