Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Gunnar Landsgesell · 14. Dez 2017 · Film

Lieber leben

Ben wacht vom Hals abwärts gelähmt in einem Krankenhaus auf. "Lieber leben" folgt ihm in eine bunte Gesellschaft von Jugendlichen und zeichnet ein frisches Bild zwischen Komödie und Drama.

Steil nach oben fällt der Blick auf die Decke eines Krankenhauses. Es muss ein Liegender sein, durch dessen Augen man hier blickt. „Lieber leben“ greift von der ersten Minute die Perspektive von Ben (Pablo Pauly) auf, einem Jugendlichen, den man schon bald kennenlernt. Er sitzt vom Hals an gelähmt in einem Rollstuhl und steuert mit einer minimalen Fingerbewegung sein elektrisches Gefährt. Offenbar hatte er einen Unfall und nun wird er von den Pflegern gefüttert, gedreht und bearbeitet. Noch ist gar nicht klar, was aus seinem Leben werden soll.

Zwischen Tiefe und Untiefen


Keine Sorge, „Lieber leben“ (Originaltitel: „Patients“) ist kein Betroffenheitsdrama, das seinen Protagonisten entmündigt und sein Publikum emotional durch den Fleischwolf dreht. Eigentlich pendelt dieses Drama schon in die andere Richtung aus, folgt einer recht bunten Gesellschaft Jugendlicher, die alle im Krankenhaus leben, aber genauso gut draußen in der Welt zu finden sein könnten. Sie sind frech, depressiv, „gehirntot“, wie ein Freund von Ben über die Patienten der neurologischen Abteilung meint, oder einfach fröhlich. So wie Ben. Dafür, dass dieser Junge urplötzlich zum schweren Pflegefall geworden ist, ist er erstaunlich krisenfrei gezeichnet. Er verliebt sich in eine junge Frau namens Samia (Nailia Harzoune) und rollt gemeinsam mit ihr durch die Gänge. Manchmal spielt dazu auch Bob Marley, von Depression und psychologischer Betreuung keine Spur. Doch lange glaubt Ben auch, dass er seine Sportausbildung nach der Rehab fortsetzen kann. Dass dem nicht so ist, erfährt er erst später. Fein dosiert gleitet das Regie-Duo Mehdi Idir und Grand Corps Malade durch die Phasen eines jungen Menschen, der sich neu orientieren muss; der vieles ist, aber kein Opfer. Dass Bens seltsam anmutender Optimismus auch von seinem Umfeld kommentiert wird, ist eine der komischen Notizen dieses Films. Insofern kann man in „Lieber leben“ so etwas wie einen Mutmacher sehen, der auf angenehme Weise zur Selbstironie neigt, ohne aber darauf zu vergessen, die „Werte“ seiner Mikrogesellschaft herauszustreichen: Zusammenhalt, Vertrauen, Stärke. Dass Ben in einer schweren Stunde, als er von seinen wenig hoffnungsfrohen Perspektiven erfährt, sich ausgerechnet einem Kumpel von der Gehirntrauma-Abteilung anvertraut, der, wie er sagt, seine Worte ohnehin nach 20 Minuten wieder vergessen hat, zeugt von der Leichtfüßigkeit dieses Films, der zwischen Tiefe und Untiefen wacker Balance hält.