Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 25. Feb 2022 · Film

King Richard

Sport-, Familien- und Coming-out-of-Ghetto-Film: So positioniert sich das recht geradlinig, aber schön erzählte Biopic über die ersten schwarzen Tennis-Superstars Serena und Venus Williams - und deren streitbare Vaterfigur Richard.

Schleppender Gang, vorgereckter Hals - so hat man den immer dynamischen Will Smith noch nicht gesehen. Als eigenbrötlerischer Vater und Promoter der Williams-Schwestern, die das Welttennis viele Jahre lang dominierten, dürfte ihm eine der sechs Oscar-Nominierungen fast sicher sein. "King Richard" ist das Hybrid einer klassischen Hollywoodgeschichte. Sozialer Aufstieg und die Beschwörung der Familie sind zwei Zutaten, die bei Erfolgsstories nicht fehlen dürfen. Man lebt in Compton, einem Ghetto in Los Angeles, bekannt aus der härteren Abteilung der G-Rapper. Boom, boom, die Bässe aus dem Autoradio der Gangster, die Richard vor den Augen seiner Töchter am Beton-Tennisplatz verprügeln, verbreiten eine bedrohliche Stimmung. Ganz klar, in "King Richard" geht es nicht nur um Armut - von den vier Schwestern haben nicht alle ein eigenes Bett - sondern auch um Gewalt, Rassismus und den Weg in eine bessere Welt. Dass dabei auch die "color line" überschritten werden muss, ist einer der Aspekte, die in der Dramaturgie immer mitschwingen. Noch vor 20 Jahren hätte wohl ein weißer Regisseur das Projekt verfilmt, mit Reinaldo Marcus Green ("Monsters and Men") weitet sich die Perspektive. 

Mythos vom sozialen Aufstieg

"King Richard" zeigt wie die meisten Biopics eine letztlich freundliche Version seines Helden. Immerhin soll man sich als Zuseher mit diesem auch identifizieren können. In einem geschickten Zug porträtiert das Drehbuch die Härten des Familiendespoten als Gratwanderung: Egomanie und Sanktionierung dürfen nach einem bekannten Schema als "Preis des Erfolges" verstanden werden, umso mehr, als der (unwahrscheinliche) Ausgang dieses Films von vornherein klar ist. Dabei steht die Ehe auf der Kippe, weil die Mutter (Aunjanue Ellis) vom eigensinnigen Richard völlig an den Rand gedrängt wird. Ein bisschen Anteil am Erfolg räumt ihr der Film dennoch ein: So trainiert sie Serena auf Basis der Videos, die Richard von den täglichen Trainingseinheiten des weißen Star-Coaches mit Venus aufnimmt. Obwohl Venus von ihrem Vater gepusht wird, ist es schließlich Serena, die später jahrelang die Nummer 1 des Damentennis wurde. Das ist nur eine der Ironien dieser Erzählung. Mit der ebenso raumgreifenden wie originellen Figur des King Richard haben es alle anderen schwer, ebenfalls genügend Aufmerksamkeit zu bekommen. Genau davon handelt freilich dieser Film. Der gläubige Christ treibt seine Kinder Venus (Saniyya Sidney) und Serena (Demi Singleton) bei strömendem Regen auf den Tennisplatz. Er lässt sie nach dem Gewinn bei einem Junior-Turnier auf der Straße stehen, weil er findet, dass sie sich zu sehr über ihren Sieg freuen. Und er verdonnert die ganze Familie, sich "Cinderella" anzusehen, um danach die didaktische Botschaft des Films (Bescheidenheit!) abzuprüfen. Mit Will Smith ist dabei ein Sympathieträger am Werk, der die unangenehmen Seiten seiner Figur etwas ausbügelt. Vor dem Hintergrund diverser  Ghettofilme zeigt sich hier aber auch eine interessante, weil rare Vaterfigur am Werk. Meistens sind diese abwesend, entweder im Gefängnis oder abgehauen. In "King Richard" hingegen folgt man einem Mann, der nicht nur schrullig, sondern verrückt sein muss. Wenn er ein Millionen-Dollar-Angebot ablehnt, weil er den unverhohlenen Rassismus des weißen Managers spürt oder einfach seine Kinder nicht verheizen will und ihren Turnierstart im Tenniszirkus gegenüber den Trainern immer wieder verzögert. In diesen Momenten arbeitet der Film mit den Unwahrscheinlichkeiten einer Lebensgeschichte, die fast nur dann möglich sind, wenn der Ausgang bereits bekannt ist. Zugleich wird dadurch aber auch am Mythos von Richard Williams gefeilt, dessen Wahnsinn hier Methode zugesprochen wird. Der Plan, den dieser Mann nicht nur am Tennisplatz, sondern auch für das Leben seiner Töchter hatte, wird abseits des Sports und der Erfolge seiner Töchter zur eigentlichen Sensation des Films. "Against all odds", gegen alle Widerstände, das ist ein beliebtes Hollywood-Motiv. In der unbeirrbaren Vaterfigur wird dieses Motiv auch jenseits der "color line" zu einem universal verständlichen Code. So reiht sich die Erzählung der Williams-Familie in den Mythos des sozialen Aufstiegs, den jeder schaffen kann - wenn er nur hart genug arbeitet. In diesem Fall hat es tatsächlich geklappt.