Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Gunnar Landsgesell · 11. Mai 2018 · Film

Isle of Dogs

Nach dem fantastischen Mister Fox ist der Regiekünstler Wes Anderson nun auf den Hund gekommen. In seiner melancholischen Stop-Motion-Animationskomödie sollen die treuesten Gefährten des Menschen deportiert und getötet werden. Einige Zwei- und Vierbeiner formieren sich zum Widerstand. Eine Parabel in unverkennbarer Wes-Anderson-Ästhetik, beobachtet durch das scharfe Auge des Hundes.

Es gibt eine beliebte Regel, Menschen danach zu charakterisieren, ob sie Hunde oder Katzen als Haustier favorisieren. Der Hund ist (anders als der Wolf) kein Rudeltier mehr, sondern folgt dem Menschen loyal, soll heißen, unterwürfig, die Katze hingegen hat ihren eigenen Kopf, gilt damit als widerständig. Wes Anderson stellt seiner jüngsten Arbeit „Isle of Dogs“ einen mythischen Prolog über Hunde und Katzen voran, erzählt von deren Ablöse in der Menschheitsgeschichte, um schließlich zu jener Episode zurückzukehren, die er - in eine Dystopie gekleidet - über das Verhältnis von Hund und Mensch erzählen will. Sie handelt in der nahen Zukunft in Japan, wo Hunde durch einen Diktator unter dem Beifall der Massen zum Feindbild Nummer 1 erkoren und allesamt nach Trash Island abgeschoben werden sollen. Megasaki, die große Stadt, soll hundefrei werden.
Der Diktator geht mit gutem Beispiel voran und lässt zuerst „Spots“, seinen eigenen Hund deportieren. Spots, blaue Augen, weißes Fell, rosa Schnauze, beobachtet den Vorgang mit unbeirrter Mine, als könnte so etwas gar nicht passieren. Doch nach kurzer Fahrt mit der Seilbahn plumpst sein Käfig auf die Insel, die ausschließlich aus Abfall zu bestehen scheint. Nach einem kurzen Zeitsprung schickt Anderson Atari, den 12-jährigen Adoptivsohn des Diktators, im Film „kleiner Pilot“ als Anspielung auf Saint-Exuperys „kleiner Prinz“ genannt, in einem klapprigen Flugzeug hinterher. Nach der Bruchlandung, die ihm einen Bolzen durch den Kopf rammt, beginnt Atari, von einer Gruppe ehemaliger Haushunde begleitet, seine Suche nach Spots.

Die Menschlichkeit der Hunde 

Es sind programmatisch "verkehrte Verhältnisse", mit deren Hilfe Wes Anderson sein eigenes Universum kunstvoll erweitert. Menschen bellen in diesem Film in einer uns unverständlichen Sprache (Japanisch!), und nur zeitweise wird uns der Inhalt übersetzt. Hunde hingegen sprechen und handeln aus unserer Sicht so verständlich, als wären wir selbst deren Artgenossen.
In seiner gewohnten Mischung aus melancholischen Gestalten und trockenem Witz sind es die vom Filmteam radikal reduzierten Ausdrucksformen, in denen sich uns diese Geschichte vermittelt. Ein Minimalismus mit speziellem Charme: Statt ein  Feuerwerk technischer Innovationen zu zünden, verlässt sich Anderson auf die haptischen Qualitäten seiner Figuren: Hunde, deren sorgsam gestaltetes Fell vom Verlust menschlicher Fürsorge erzählt, wenn sich darin langsam Löcher und Wunden bemerkbar machen. Und Menschen, für deren mimischen Ausdruck er jeweils 30 Masken anfertigen ließ, um deren Repertoire an Emotionen einzufangen. Die Bewohner von Trash Island scheinen aber vor allem auf sich selbst gestellt, wenn es darum geht, die Handlung voranzutreiben.
Wohin "Isle of Dogs" eigentlich steuert, zeichnet sich nicht wirklich ab. Eine Diktatur soll zu Fall gebracht, ein Hund gefunden werden und mit ihm wohl die Menschlichkeit, die in diesem Megasaki verloren ging. Wer "Isle of Dogs" als Allegorie auf rechtspopulistische Politikmuster verstehen will, liegt damit sicher nicht ganz falsch. Deutlich zu spüren ist jedenfalls die Hingabe und selbstgenügsame Begeisterung, mit der die Puppen durch diese Papierwelt bewegt werden. Es ist, als hätte sich der große tschechische Stop-Motion-Künstler und Surrealist Jan Svankmajer selbst am Drehbuch beteiligt, so schräg wirken die Szenerien, die sich Anderson mit seinen Mitstreitern Jason Schwartzman, Roman Coppola und Kunichi Namura ausgedacht hat. Wenn Hunde mit Rivalen kämpfen, bauscht sich eine wabernde Stop-Motion-Wattewolke auf, aus der abwechselnd Beine, Arme und Schnauzen ragen. Wenn aber der Streuner, der sich trotzig von den ehemals gepflegten Haushunden abheben möchte, mit trauriger Stimme sagt: "Ich beiße, aber ich weiß nicht, warum", wenn sich dieser Streuner also einer begehrten Hündin vorstellt, die so etwas wie eine sanfte Femme fatale ist, dann spoilert Anderson schon vorab den Ausgang seiner Erzählung.
In solchen Gesten tiefster Zuneigung wurzelt auch die Hoffnung, dass die tiefe Spaltung dieser düsteren Welt nicht von Dauer sein wird und die grundböse Verbannung der Hunde ein Ende hat.
Exzentrisch ist hingegen die Wahl Japans als Ort für Andersons Parabel. Deklariert als Verbeugung vor Altmeistern wie Akira Kurosawa, dessen konzise Bildkompositionen sich auch in "Isle of Dogs" wiederfinden mögen, erscheint einem Japan aber vor allem als Schauplatz einer martialischen Gesellschaft. Mächtige Trommelmusik akzentuiert das Geschehen, während die japanische Sprache einem als besorgniserregender Ausdruck des Fremden präsentiert wird. Ein starkes Stilmittel mit eigentümlicher Note.