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Peter Niedermair · 20. Sep 2017 · Film

„Hohenems – Manhattan - Die Wolkenkratzer des Ely Jacques Kahn“

Am Sonntag, 17. September 2017 luden die Stadt Hohenems und das Jüdische Museum Hohenems zur Vorpremiere des von Ingrid Bertel gestalteten und von Nikolai Dörler produzierten Dokumentarfilms über Ely Jacques Kahn in den Salomon-Sulzer-Saal ein. Von Hohenems nach Wien, von Wien nach Paris, von Paris nach New York folgt diese Dokumentation den Spuren des Architekten Ely Jacques Kahn. Seine Karriere umspannt mehr als ein halbes Jahrhundert. Rund vier Dutzend Wolkenkratzer errichtete er in dieser Zeit – und prägte damit die Skyline Manhattans von der Wall Street bis zum Broadway. Der Wolkenkratzer 120 Wall Street ist eines der bekanntesten Gebäude. Die Dokumentation greift Kindheitserinnerungen an Hohenems auf, fängt Impressionen der Studienjahre in Paris ein, fragt nach den freundschaftlichen Beziehungen zu den Mitgliedern der Wiener Sezession und der Wiener Werkstätte und sucht die Spuren Kahns in New York bei Mitgliedern seiner Familie, bei Freunden, Bewunderern, Experten oder den Bewohnern seiner Wolkenkratzer.

Ely Jacques Kahns Stationen – New York, Wien, Paris, Hohenems und zurück  

Ely Jacques Kahn zählt zu jenen, die mehr oder minder erfolgreich in die Welt aufbrechen. Doch seine Geschichte ist eher untypisch, weil er sehr erfolgreich war. Über die, die gescheitert sind, erfährt man bekanntlich wenig, über die, die erfolgreich waren, erfährt man viel. Und genau so ist es, was diesen Film betrifft, der in jeder Hinsicht ein herausragendes Dokument ist. Kahn hat innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von zehn Jahren ein ganzes Stadtbild mitgeprägt, das von Manhattan. Typisch an dieser Geschichte ist die enorme Spannweite von Weltläufigkeit, Kosmopolitismus, Metropole und Kultur und dem kleinen Marktflecken Hohenems, die trotz all der Divergenzen eine Gleichzeitigkeit war. Die Familien sind nicht einfach von Hohenems weggezogen, sondern waren auch in Hohenems präsent. Ely Jacques Kahn, als er in Paris sein Studium beendet hatte, kam nach Hohenems zurück, bevor er zu seiner Verwandtschaft nach New York gezogen ist. Ely Jacques Kahn ist 1884 in New York geboren, sein 1855 in Hohenems geborener Vater Jakob Kahn war um 1871 mit 16 Jahren nach seiner Internatserziehung in der Schweiz nach NY ausgewandert. Dort gründete er eine Spiegelfabrik, mit der sehr erfolgreich war, heiratete eine Verwandte, eine entfernte Cousine, Eugenie Kahn; die beiden haben drei Kinder, die alle in New York geboren wurden, Rena, Adele und Ely Jacques. Rena heiratete Rudolf Rosenthal, den Bruder von Klara Rosenthal.

Ely Jacques Kahn 1884 - 1972

Insgesamt hat er 50 aktive Jahre als Architekt in NY gearbeitet. Er hat in all diesen Jahren permanent gebaut und war dabei höchst erfolgreich. In der Zeit des Baubooms vom Ende des 1. Weltkriegs bis zum Börsenkrach 1929 ist er groß geworden. Die Stadtverwaltung hatte in der Mitte der 1910er-Jahre einen Stadtentwicklungsplan für Manhattan ab nördlich der Houston Street festgelegt; neue Baustoffe wie Stahl und Beton wurden qualitativ weiterentwickelt; eines der ersten Hochhäuser war 1902 bereits das legendäre Flatiron Building, dessen Architekt Daniel Hudson Burnham war, an der Kreuzung der Fifth Avenue, des Broadway und der 23rd Street, im nach ihm benannten Flatiron District von Manhattan; die Stahlskelettbauweise war erfolgreich eingesetzt worden und mit Terrakotta aus Staten Island verkleidet. Die neuen Häuser in dieser Zeit wurden vielfach aus spekulativen Überlegungen gebaut. Parallel fand ein wirtschaftlicher Strukturwandel statt, es gab immer mehr und mehr Büros, Lagerräume wurden benötigt. Der Garment District, wo genäht wurde, wurde das historische Zentrum der amerikanischen Modeindustrie, man brauchte andere Gebäude, in denen zum Beispiel schwere Maschinen standen … Diese Häuser wurden von Investoren gebaut und danach vermietet. Man baute diese Häuser im sicheren Wissen, dass sie vermietet werden. 1929 mit dem Börsenkrach brach diese Blase zusammen. Kahns Firma war pleite, auf ein Zehntel reduziert. Unmittelbar danach hatte er wenig zu tun, die Depression war allgegenwärtig, er jedoch nahm sich Zeit und ist mit einem Stipendium nach Asien gefahren, schrieb ein Buch über modernes Design; er war eingeladen, Vorschläge zu machen, wie die Design Ausbildung in den USA verbessert werden könnte. 1933 fuhr er nicht nach Europa, wozu er absolut keine Lust hatte, sondern eben nach Asien, um dort zu sehen, wie Alltagsdesign funktionierte.

Kahn im Jüdischen Museum Hohenems

Derzeit kann man im JMH noch relativ wenig sehen, ein Buch, das ein sehr berühmtes Foto enthält, das ihn beim Silvesterball 1931 zeigt, als er sich als einer seiner Wolkenkratzer, als „Squibb Building“ verkleidete. Das Museum hat von der Familie Kahn kürzlich eine kleine Schenkung bekommen, drei Ties / Fliegen, die am Ende des Films vorkommen; das Museum hat mittlerweile Bücher von Kahn, u.a. einen Firmenkatalog, „The Firm of Ely Jacques Kahn“, es gibt das Manuskript seiner Autobiographie, in Aussicht gestellt sei das Büroschild von 2 Park Avenue von Kahn. Doch nicht nur Kahns Geschichte ist sehr interessant und vielschichtig, auch die Geschichte von Rena Kahn und Rudolf Rosenthal, die einen Designshop auf der Madison Avenue hatten.

Architekturspezifika in einem Netz von Beziehungen

In der Architektur war Ely Jacques Kahns großes Verdienst, dass er in relativ kurzer Zeit die gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Situation in New York, vor allem jedoch mit Fokus auf die Bausituation, verstanden hatte und reagierte. Die „zoning resolution“ war ein Baugesetz in NY, das auf die starken Schattenwürfe der Hochhäuser reagierte. Die größere Bauhöhe hatte nämlich einen größeren Schattenwurf zur Folge, das Baugesetz forderte Architekten dazu auf, die Gebäude ab einer bestimmten Höhe im obersten Teil zurück zu rücken. Die Folge waren Rückbauten, setbacks in den oberen Geschossen; man spricht deshalb auch von „Hochzeitstorten“-Architektur. Ely Jacques Kahn hat aus einem elaborierten ästhetischen Verständnis heraus eine architektonische Qualität gemacht, die dazu noch auffallend schön war. Er hat das Sockelgeschoss im obersten Teil so nach hinten verjüngt, dass man – vor dem Gebäude stehend - immer noch das gesamte Gebäude sehen konnte. Neben seinem architektonischen Verständnis und seiner Begabung, war er eine ungemein offene Persönlichkeit; er hatte ein feinsinniges Gespür sich Partner zu wählen, die seine Ideen weitertrugen, diese an die nächste Generation weitergaben, so dass er sich mehr und mehr auch zurückziehen konnte.  

Die Beziehung des Ely Jacques Kahn zu den österreichischen Künstlern war für viele lebensrettend, weil viele von ihnen 1938 emigrierten und in den USA durch die Zusammenarbeit mit ihm einen gewissen Status und eine Bekanntheit hatten. Sie konnten drüben in den USA eine neue berufliche Perspektive entwickeln, entweder dass sie bei ihm im Büro Arbeit oder über seine Vermittlung eine Stelle bekamen. Mendelssohn hat er eine Zusammenarbeit angeboten, doch die Arbeitsweise der beiden war unterschiedlich, woraufhin Kahn ihm ein Atelier finanzierte, wenngleich er selbst wenig hatte, weil das Büro in der wirtschaftlichen Depression zusammengeschrumpft war.

„Ein Gebäude ist mehr als eine dekorierte Hülle“

Eine angedachte Langform dieses jetzigen Dokumentarfilms würde den Brückenschlag zwischen Wiener Moderne und dem amerikanischen Baugeschehen fokussieren und u.a. stärker auf jene Verknüpfung, die Ely Jacques Kahn besonders wichtig war, hinzuweisen und diese Aspekte zu integrieren. Wolfgang Hoffmann, der Sohn Josef Hoffmanns, war Kahns Chefdesigner, die Frau Wolfgang Hofmanns, Paula Hoffmann, hat ebenfalls viel bei Kahn gearbeitet, ebenso bei seiner Schwester Rena, auch Ernst Schwadron oder Walter Loos, ein Namenskollege von Adolf Loos, die aber nicht verwandt waren, hatte Kahn 1938 angeboten, Stadtbaurat von Wien zu werden, was dieser natürlich ablehnte, weil er damit politisch nichts zu tun haben wollte. Neben den rassisch verfolgten Menschen gab es auch sehr viele andere, die mit den Nazis nichts zu tun haben wollten. Oder etwa Eva Mandelstamm, die structural engineer bei Khan war, und als solche eine wichtige Funktion in der Planung der Hochhausbauten hatte.  

Das Narrativ der Doku

Nikolai Dörler hat wunderbar ausdrucksstarke Bilder geschaffen, er besitzt ein besonderes Auge für die Perspektive, das Licht und natürlich für den Schnitt, gerade in den bildpragmatischen Brückenphasen des Films, in denen die New Yorker Architektur als eigenes Universum auftaucht. Während Dörler in der Bildsprache die Bauten in Manhattan herunterdekliniert, zieht es einen in die Leinwand hinein. Von den rund 100.000 Euro Produktionskosten, wovon ein großer Teil auf Rechte und Versicherungen entfällt, übernahmen der ORF 10.000, die Stadt Hohenems 5000, das Land Vorarlberg 20.000, 10.000 der Zukunftsfonds und 10.000 der Nationalfonds. Der Rest wurde privat finanziert. Die Hoffnungen, den Rest hereinzuspielen, liegen im internationalen Vertrieb. Die Geschichte des Ely Jacques Kahn ist an sich so stark und wirkmächtig, dass man die Doku auch in den USA spielen kann. Eine DVD gibt es derzeit wegen der Musikrechte nicht. Die Musik zum Film haben Ingrid Bertel und Ekke Muther ausgewählt. Richard Galliano. Galliano hat neben seinen eigenen Gruppen mit vielen herausragenden Komponisten und Musikern gespielt, Juliette Gréco, Ron Carter, Chet Baker, Jan Garbarek, Michel Petrucchiani, Biréli Lagrène oder Wynton Marsalis, um nur ein paar wenige zu nennen. Neben Akkordeon spielt er auch Accordina, Posaunen, Klavier und Bandoneon. Die Musik im Film ist wie aus einem Guss, was den Bildern noch eine herausragende Qualität verleiht; es ist als sähe man in den Fassaden der faszinierenden Wolkenkratzer und Hochhäuser Manhattans die Wolken wie Schiffe vorbeiziehen, im Rhythmus des besonderen Lichts, das von Winden, die den Hudson River herunterfließen, diese betörend schönen, leicht gerötelten Farbtupfen wie flüchtige Gemälde aussehen lässt.

Reunion: Das 3. Nachkommentreffen ehemaliger jüdischer Familien aus Hohenems

Die Figur des Schauspielers als ein Träger des Filmnarrativs geht auf eine Idee von Annette Dörler zurück. Der Einstieg am Beginn der Doku: „Sie erzählen noch immer von ihm. Kein Wunder! Gut vier Dutzend Wolkenkratzer hat er in Manhattan gebaut. Sie geben der Stadt Farbe und Rhythmus. (…) Sein erstes Haus entwarf Ely Jacques Kahn vor ziemlich genau hundert Jahren, und umgehend wurde es mit einer Goldmedaille für die beste Fassade ausgezeichnet. Die ist eine Studie in klassischer Zurückhaltung, mit Anklängen an jenen Stil, den die Franzosen ‚Louis XVI‘ nennen. An Frankreich, an Paris, wo er studiert hatte, orientierte er sich gerne.“ Diese Intro gibt, wie man durch den gesamten Film hindurch dann feststellen wird, den Ton an, diese Leichtigkeit, das Schwebende. Der Film lebt in seiner Atmosphärik von diesem persönlichen Zusammenspiel der Akteure und Akteurinnen, die miteinander arbeiteten und an Orten wie Wien, Purkersdorf, Hohenems, Paris und New York jene Geschichten, Bilder und Töne einfingen, die aus „Hohenems – Manhattan: Die Wolkenkratzer des Ely Jacques Kahn“ einen außergewöhnlich vielschichtigen und faszinierend schönen Film mit völlig überzeugenden Mitwirkenden machen. Ely Jacques Kahn III, Tim Hanford, ein Nachkomme einer jüdischen Familie aus Hohenems: „Es gibt wohl keine andere Stadt in Europa, die nach den Spuren ihrer ehemaligen Bewohner sucht und wissen will, wohin in alle Welt sie sich zerstreut haben.“ In der letzten Juliwoche des vergangenen Sommers fand in Hohenems die 3. Reunion statt, das Nachkommentreffen ehemaliger Juden aus Hohenems; dieses Treffen wird auf eine gewisse Weise zum zentrifugalen Drehmoment der filmischen Erzählung. Für dieses Treffen steht stellvertretend Suhshan Shimer-Rosenthal, die mit ihrer Familie diesen Sommer ebenfalls in Hohenems war; Hanno Loewy, der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, der am Ende des Films mit einer Fliege ins Bild rückt; Shelley Hayreh von der Columbia University, an der Ely Jacques Kahn Architektur studierte, Hugo Dworzak, Architekt aus Lustenau mit Lehrstuhl für Architektur in Vaduz / Liechtenstein, Jewel Stern, die Biographin Kahns: „Kahns Familie kam doch aus Österreich, und seine Schwester lebte ziemlich lange – ich denke von 1900 bis etwa 1910 in Hohenems. Da hat Kahn sie besucht. Beide waren oft in Wien und wohl sehr vertraut mit der Wiener Werkstätte und dem Design von Josef Hoffmann.“ Weiters Frederick Cookinham, Ely Jacques Kahn IV, der Urenkel des Protagonisten, der in der Lobby, deren grandiose Ausstattung zum benchmark für Ely Jacques Kahn wurde von 2 Park Avenue stehend, und sich von der Hausverwaltung so bald wie möglich Büroräumlichkeiten in diesem außergewöhnlichen Gebäude wünscht.

Manhattan

Zum Silvesterball 1931 haben sich die Architekten in New York eine besondere Verkleidung ausgedacht. William van Alens kam verkleidet als „Chrysler Building“, Ely Jacques Kahn als schneeweißer Marmorblock, das „Squibb Building“. 1940 nahm Kahn Robert Allan Jacobs in sein Büro auf, woraus eine lebenslange Bürogemeinschaft wurde. Die Familie seiner Frau leitete den Tabakkonzern Philip Morris. Kahn und Jacobs schufen ein Gemeinschaftswerk am East River, das auf eine Nähe zu Le Corbusier hinwies. Es wurde als architektonisches Highlight gefeiert. Kahn suchte den Kontakt mit jungen Architekten, zu denen auch Elsa Gidoni-Mandelstamm gehörte, die 1938 nach New York emigriert war. Sie war federführend beim Universal Pictures Building, das als für die Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg wegweisend galt. Von den vielen im Film auftauchenden architektonischen Mythen des 20. Jahrhunderts wäre noch das Seagram Building zu nennen, das bis heute als Vorbild für den idealtypischen Wolkenkratzer erscheint. „Ely Jacques Kahn stellte dafür all sein Wissen und seine Erfahrung in den Dienst eines Kollegen: Mies van der Rohe.“ Als Ely Jacques Kahn sich in die Pension zurückzog, Mitte der 60er-Jahre, ging er oft in sein Sommerhaus in Cape Cod, um zu malen. Wenn man genau hinsieht, erblickt man im Film von Ingrid Bertel und Nikolai Dörler Kahns gemalte Bilder auf diesen Wolkenschiffen, die über die Fassaden ziehen. In der ORFTVThek kann man den hier besprochenen Dokumentarfilm bis Montag, 25. September 2017 noch „nach“schauen. Er wurde am Kulturmontag dieser Woche auf ORF2 ausgestrahlt.