Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 05. Dez 2019 · Film

Gypsy Queen

Vom Leben der jungen Mutter und Roma-Angehörigen Ali, die der Vater als Boxerin ausgebildet hat, erzählt Hüseyin Tabaks jüngste Arbeit. Zwischen Boxerfilm und Sozialdrama tut sich einiger Raum auf, in dem Tobias Moretti als skuriller Kneipenwirt und Box-Promoter gegen Alina Serban als stille Kämpfernatur eifrig Punkte sammelt.

„Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben“, umreißt Tobias Moretti in „Gypsy Queen“ gewissermaßen die Lebenseinstellung seiner eigenen, von ihm verkörperten Figur im Film. Als Tanne, Inhaber einer Kneipe in Hamburg, in der auch Boxkämpfe ausgetragen werden, bringt er sich als Trainer, Promoter und Hamburger Original durchs Leben, auch mit schrägen Ideen. Einmal lässt er Ali, die eigentliche Protagonistin des Films, in ein Affenkostüm schlüpfen und gegen einen Boxer, der als blonde Maid verkleidet ist, kämpfen. Sie schlägt ihm die Nase blutig, der Spaß kippt, die Szene ist eine der intensivsten, weil sie mit Überraschungsmomenten operiert. Aber der Reihe nach. „Gypsy Queen“ erzählt von Ali (Alina Serban), einer jungen Mutter und Angehörigen der Roma, die die Tristesse ihres Dorfes in Rumänien verlässt und seither mit Putzjobs in Hamburg das Auslangen findet. Ihr Vater hat sie daheim im Dorf als Boxerin trainiert, am Ende wird sie sich über einige Umwege wieder in diesem Metier finden, eben bei Tanne in einem schmierigen Milieu.

Hamburger Impresario vs. tapfere Kämpferin

In seinem jüngsten Film erzählt Hüseyn Tabak vom Traum des sozialen Aufstiegs, wie ihn Sport- und insbesondere Boxerfilme zum Thema haben. Auch bei Tabak ist das nicht anders. Die doppelte Stigmatisierung als Angehörige einer Minderheit und alleinerziehende Mutter stellt den Nullpunkt dar, von dem es nur aufwärts gehen kann. Erzählerisch bewegt sich „Gypsy Queen“ im Bereich des Möglichen, die liebende Mutter ist auch mal überfordert, in der Arbeit wird sie um Geld geprellt. Die Idee, ihr eine Freundin an die Seite zu stellen, die anders als Ali tatsächlich Träume hat – „du studierst Kunst und ich spiel im Burgtheater“ sagt sie einmal zu Alis Tochter – ist ein Ansatz, der dramaturgisch aber irgendwie stecken bleibt. Die Qualitäten der Protagonistin sind Härte und Zähigkeit und das ist letztlich auch Stoßrichtung und Mythos, von dem dieser Film bewegt wird. Das eigentliche und einprägsame Duell von „Gypsy Queen“ ist aber weniger das von Ali gegen das Leben und dessen Widrigkeiten, sondern das mit Moretti. Von seiner raumgreifenden Präsenz her ein Schwergewicht, das mit allen Tricks seiner Film- und Bühnenerfahrung arbeitet. Da stört es nicht einmal, dass Morettis Hamburger Idiom in erster Linie absonderlich klingt, dieser Tanne hat mit Sicherheit Migrationshintergrund. In einer Szene, in der er Ali erstmals zuhause besucht, sind es die Zwischenschnitte auf Morettis Gesicht und dessen markante Mimik, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen – bzw. von Ali und deren Familie abziehen. Alina Serban macht ihre Aufgabe dennoch gut, ihre Rolle einer schweigsamen, kämpferischen Frau im Stil von Dardenne-Figuren wie „Rosetta“ spielt eben in einer anderen Gewichtsklasse. Der soziale Realismus (schmutzig gefärbte Bilder von Tabaks Langzeit-Kameramann Lukas Goiginger) und das ins Träumerische ausschweifende, das man von früheren Filmen Hüseyins kennt, paart sich hier nicht wirklich mit dem Reich des skurrilen Hamburger Impresarios Tanne. Beides hat seine Qualitäten, in „Gypsy Queen“ durchlebt der Zuseher das Geschehen gewissermaßen in „zwei Welten“.