Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 27. Jul 2017 · Film

Dunkirk

Regisseur Christopher Nolan greift auf ein eigentümliches Kapitel des Zweiten Weltkrieges zurück: der Einschluss britischer und französischer Truppen in Dünkirchen durch die Armee des Dritten Reiches und die wundersame Rettung von 300.000 Soldaten. Kein Kriegsfilm, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn, sondern die Reflexion eines kollektiven Wollens.

Man kann die Ereignisse in Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg aus verschiedener Perspektive betrachten. Für die Franzosen war es eine beschämende Niederlage, dass Hunderttausende Alliierte Soldaten vor den nahenden Truppen des Dritten Reiches über den Kanal nach England flohen. Zudem markiert das Datum den Beginn der deutschen Besatzung Frankreichs. Für die Briten hingegen erwuchs aus der großangelegten Operation der bis heute immer wieder bemühte „Geist von Dünkirchen“ – wird er beschworen, dann liegt ein Gefühl nationaler Einheit und kollektiven Willens in der Luft. Christopher Nolan hat die zweite Perspektive als dramaturgischen Ausgangspunkt gewählt.

Ephemere Bilder

Eigentlich beginnt Dunkirk mit einem kleinen Witz. Ein Soldat muss dringend sein Geschäft erledigen und findet dafür keinen ruhigen Ort. Zwar ist die französische Kleinstadt bereits evakuiert, zugleich wurden hier aber Hunderttausende Soldaten konzentriert, eingekesselt durch die großdeutsche Armee. Als der Mann durch eine enge Gasse an den Strand gelangt, öffnet sich der Blick auf eine Weite, die von starren Armeeformationen geprägt ist. All die dunklen Spots auf hellem Sand warten auf ihre Rettung. Der namenlose Soldat zieht scheinbar unbeobachtet an einer Düne die Hosen herunter, als er merkt, dass wenige Meter weiter ein Kamerad einen toten Soldaten in den Sand eingräbt. Menschliche Bedürfnisse und die Grausamkeit des Krieges liegen hier nur einen Fußbreit auseinander. Christopher Nolan hat sich in „Dunkirk“ jedoch nicht für den Krieg interessiert, sondern für einen schmalen, eindrücklichen Moment daraus. In der Woche vom 26. Mai bis zum 3. Juni 1940 konnten trotz scheinbar aussichtsloser Lage weit über 300.000 britische und französische Soldaten nach England verschifft werden. Viele von ihnen durch Schiffe der Armee, ein Teil aber auch durch Fischkutter, Yachten, Boote von beherzten Zivilisten, die ihren Teil zur Rettung der freien Welt beitragen wollten. Bei Nolan fällt der Blick vor allem auf einen Vater mit seinem Sohn, der mit seinem Segelboot hurtig zwischen den vom Himmel herabfallenden Piloten hin und her schippert und diese eilig aufsammelt. Dass dafür überhaupt Zeit war, hat mit einem bis heute ungeklärten Befehl Hitlers zu tun, der die übermächtigen deutschen Truppen 48 Stunden in den Gebieten in Flandern anhalten ließ. Für Nolans Dramaturgie ist das freilich unbedeutsam. Er entwirft eine Szenerie, die nahezu unwirklich wirkt. Ein Bild des kollektiven Verharrens, in dem der Krieg in vereinzelte Wahrnehmungen zerfällt. Nur am Himmel liefern sich Flieger der RAF und der deutschen Luftwaffe Gefechte, die Nolan rhythmisch wie surreale, Godot’sche Kommentare gegen den Stillstand am Boden setzt. Zuweilen landen aus der Höhe seriell gestreute Bomben, die auch Soldaten treffen, doch an der spektakulären Inszenierung des Todes ist Nolan nicht interessiert. Mit erstaunlicher Distanz beobachtet man solcherart, wie ganze Truppen zwischen Agonie und Evakuierung, zwischen dem Städtchen Dünkirchen und der weiten Fläche des Meeres, auf einem engen Streifen Sand ihrer Ungewissheit ausgeliefert sind. Dass Nolan dabei ganz auf die Wahrnehmung von Kollektiven abzielt, und das Junktim von Individuum und Heldentum kurzerhand aufbricht, ist bemerkenswert. Schauspielgrößen wie Tom Hardy, Kenneth Branagh oder Cillian Murphy müssen - ob ihrer zurückgenommenen Präsenz  - geradezu erspäht werden. Einen Kriegsfilm wie „Dunkirk“ hat man bislang eher selten gesehen. Zugleich stellt sich im ephemeren Charakter dieser Bilder aber auch die Frage, worum es Nolan mit diesem Projekt eigentlich geht. „Dunkirk“ ist – anders als etwa bei Kubrick – kein Film über den Irrsinn des Krieges, auch nicht über dessen Grausamkeit und auch nicht über den strategischen (oder nationalen) Größenwahn, der solche Unternehmungen befeuert. Einzig das Ende von „Dunkirk“, das ganz zum Schluss eine leise Agenda des Pathos erahnen lässt, könnte darüber Aufschlüsse geben.