Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Gunnar Landsgesell · 15. Dez 2015 · Film

Carol

Die Liebe zweier sozial ganz unterschiedlich situierter Frauen (Cate Blanchett, Rooney Mara) in den Fünfzigern gestaltet Regisseur Todd Haynes ("Far from Heaven") zu einem perfekt inszenierten Melodram, in dem jede Geste und jeder Zwischenton perfekt getroffen ist. Einmal mehr löst Cate Blanchett für ihr Spiel Lobeshymnen aus.

Ist „Carol“ ein Film über Liebe oder doch über Einsamkeit? Beides lässt sich in diesem Fall nicht so einfach trennen. 1953 erlaubte sich die Krimiautorin Patricia Highsmith einen Ausflug von ihrem Fach und verfasste unter einem Pseudonym die Novelle „The Price of Salt“, in der sich zwei Frauen unterschiedlicher sozialer Milieus ineinander verlieben. Heute, 60 Jahre später, wirkt der Stoff, von Todd Haynes („Velvet Goldmine“) mit größtmöglicher Akribie im Look der Fünfziger Jahre verfilmt, keineswegs angestaubt, sondern ziemlich zeitgemäß. Das mag daran liegen, dass sich in der gesellschaftlichen Akzeptanz bei Genderthemen weniger verändert hat, als man glauben würde. Vor allem aber liegt es an Haynes Inszenierung, die mit einem geradezu notorischen Perfektionismus (und auf 16mm Film gedreht) eine Welt herbeizaubert, in der jeder Wimpernschlag und jede noch so kleine Gefühlsregung auf das exakte Maß austariert und kalibriert zu sein scheint. Wesentlichen Anteil hat Cate Blanchett in der Rolle der Carol, einer wohlhabenden, gerade in Scheidung befindlichen weltgewandten Frau, die in einem Spielwarengeschäft auf die junge, unsichere, aber zugleich selbstbestimmte Verkäuferin Therese (Rooney Mara) trifft. Während Therese mit Weihnachtsmütze in der Modelleisenbahn-Abteilung arbeitet, träumt sie von einer Karriere als Fotografin.

Melodrama der Zwischentöne


Wie schon an dieser ersten Begegnung deutlich wird, ist es Haynes daran gelegen, die besondere Chemie zwischen beiden Figuren herauszuarbeiten. In Blanchett und Mara findet er zwei Schauspielerinnen, die diese besondere Beziehung allein schon durch ihre Blickwechsel zu verdeutlichen vermögen. Blanchetts Figur ist die tragischere: In dem von ihr angestrengten Scheidungsverfahren, bei dem der Ehemann (Kyle Chandler) sie durch den Entzug des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter unter Druck zu setzen versucht, führt diese Frauengestalt der Carol exemplarisch vor Augen, was gesellschaftliche Ächtung bedeuten kann. Blanchett, der LGBT-Rechte auch politisch ein Anliegen sind, interpretiert die emotionale Berg- und Talfahrt zwischen Ehekrieg und heimlichem Glück auffällig geradlinig, ohne besonders queer wirken zu wollen. Es dürfte wenige Schauspielerinnen im aktuellen Weltkino geben, die ein solches Maß an Sensibilität und Expression in Rollen einzubringen vermögen und immer noch ganz bei sich wirken, wie Blanchett. In einer Anspielung an Todd Haynes extravagante Dylan-Biographie „I’m Not There“, in der u.a. auch Blanchett die Rolle Dylans einnahm, meinte Rooney Mara zwischen Scherz und Huldigung: Cate spielt selbst Männer besser, als Männer das könnten. Für Haynes ist die Besetzung beider Frauen ein Idealfall – er ist mit „Carol“ nicht so sehr an den katastrophischen Zuschnitten der Melodramen eines Douglas Sirk interessiert, dessen „All that Heaven Allows“ (1955) er mit „Far from Heaven“ (2002) kunstvoll variierte, sondern an den Zwischentönen, den Ambivalenzen und auch der Stille des Glücks, die sich hier immer wieder vorsichtig ausbreitet. Mit einem Vorgriff auf das Ende eröffnet Haynes seinen Film mit einer flüchtigen Begegnung, der nach einem langen Abschied aussieht. Wenn sich aber am Ende der erzählerische Kreis vollständig schließt, wird klar, was die zeitgenössische Leserschaft von Patricia Highsmith wesentlich mehr beunruhigt hat als eine verhinderte Beziehung.