Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Gunnar Landsgesell · 28. Apr 2016 · Film

Bauernopfer - Spiel der Könige

Bobby Fischer, der Schachweltmeister, der 1972 die sowjetische Dominanz durchbrach, bleibt in diesem Film ein Rätsel. Regisseur Edward Zwicks Faszination für Fischers Hang zur Paranoia stellt sich schließlich als Hürde dar, der Persönlichkeit dieses Mannes näher zu kommen. "Pawn Sacrifice" ist weniger ein Film über Schach als ein Zeitbild des Kalten Krieges, ganz aus der verengten Sicht seines Protagonisten.

Spätestens dann, wenn Bobby Fischer während eines Spiels um den Weltmeistertitel vom Tisch aufsteht, im Saal umherschleicht und von eigenartigen Störgeräuschen spricht, weiß man, dass es sich hier nicht um strategische Störaktionen handelt, die seinen Gegner aus der Konzentration bringen sollen. Zwar gewinnt Bobby Fischer das Turnier und wird 1972 zum gefeierten Weltmeister, der die jahrzehntelange sowjetische Dominanz durchbricht. Zugleich legt „Bauernopfer“ („Pawn Sacrifice“) aber nahe, dass man es mit Fischer mit einem regelrechten Paranoiker zu tun hat. Schon zu Beginn des Films steigt ein kleiner Junge aus seinem Bett, um seine Mutter zu warnen, dass ihm vor dem Fenster ein Auto merkwürdig auffällt. Fischer, der junge Schach-Großmeister, das Schach-Genie, ist von einer Hypersensibilität geprägt, die der Film genüsslich bis zum Verfolgungswahn steigert. Edward Zwick, Gestalter narrativ gut geerdeter Actionfilme, erweist sich dabei aber nicht als Mann vielschichtiger Biographien. Immer tiefer drängt er Fischer in seine Rolle als Paranoiker, der sogar in den eigenen Zahnfüllungen noch Abhörapparaturen vermutet, sodass kaum mehr Platz bleibt, diese hochinteressante Figur an dieser Stelle näher kennenzulernen. Tatsächlich gibt es Spekulationen über die mentale Erkrankung Fischers, der nach seinem WM-Titel nie wieder an einem Turnier teilnahm und seinen Titel schließlich kampflos verlor. Jahre später landete er – trotz seiner finanziellen Mittel – mit einem wilden Vollbart und verwirrt wirkend wegen Vagabundierens sogar im Gefängnis. Als Fischer, dessen Eltern Juden waren, die Anschläge vom 11. September quasi als gerechte Strafe für die US-Außenpolitik goutierte und auch noch eine jüdische Verschwörung ins Spiel brachte, nahm er nach Jahren der Reisen rund um den Globus schließlich Islands Angebot einer Staatsbürgerschaft an. Er konnte oder wollte nicht mehr in die USA zurückkehren und verstarb 2008 in Island.

Unerklärliche Nöte


„Bauernopfer“ lässt sich allerdings nicht auf diesen großen biographischen Bogen ein, sondern streift kursorisch einige Stationen, die kolportagehaft nicht uninteressant immer wieder mit Ereignissen des Kalten Krieges verschränkt werden. Das Turnier von 1972 wird auf der Tonspur und mit Einspielern in die Rhetorik der Zeit gekleidet: Die Medien stilisierten das Spiel als Dritten Weltkrieg, der nun auf dem Schachbrett gegen die Sowjets entschieden würde. In solchen Momenten entwickelt der Film eine gewisse Spannung, weil die Kalte-Kriegs-Stimmung sich in krassem Gegensatz zu Fischers mentaler Verfassung präsentiert. Besonders in Passagen wie diesen wirkt der Schachmeister entrückt, wie ein isolierter, leidender Mann. In Tobey Maguire findet sich eine Besetzung, mit der dieser Leidensdruck glaubhaft ins Bild übersetzt werden kann. Maguires starrer Blick, seine gehemmten Leidenschaften, und die mathematische Kunst des Schachspiels, die sich bei ihm wie ein unheimlicher Zwang anfühlt, vermögen von unerklärlichen Nöten zu berichten. Dass Regisseur Zwick das Drama dieses Mannes – trotz Drehbuchautor Steven Knight („Eastern Promises“, „Locke“) – nicht deutlicher konturieren konnte, liegt aber wohl an der Besetzung Zwicks selbst. Vielleicht hatten die Produzenten versucht, einem statisch anmutenden Thema mit hypertropher Rezeptur beizukommen. Dabei blieb aber auch das „Spiel der Könige“ selbst auf der Strecke, weil die Figuren auf dem Brett in keiner Szene nachvollziehbar bewegt werden.