Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 28. Sep 2018 · Film

Ballon

Ein Beitrag weniger zum DDR-Verständnis als zum deutschen Hochspannungskino: Michael "Bully" Herbig hat die reale Flucht einer Familie in einem selbstgebastelten Ballon zum Anlass genommen, eine lupenreine Genrearbeit zu inszenieren. Hochgradige Paranoia inklusive.

Die DDR als Paranoia-Anstalt, die Flucht einer Familie als packender Hürdenlauf gegen die Zeit. Michael „Bully“ Herbig, Spezialist für Klamotten wie „Der Schuh des Manitu“ überrascht mit einer schnörkellosen Genrearbeit und verfilmt die reale Flucht einer bzw. zweier Familien aus der DDR in einem Heißluftballon im Sommer 1979. Doris und Peter Strelzyk (Karoline Schuch, Friedrich Mücke) ist es im Arbeiter- und Bauernstaat längst zu eng geworden. Sie wollen mit ihren Kindern aus Thüringen über die Grenze, und das durch die Luft. Der Ballon aus vielen Flicken sieht beeindruckend aus, sicher eher nicht. Aus fast 30 Metern Höhe rauschen sie beim ersten Versuch mit dem selbst zusammengebastelten, Propangasflaschen-betrieben Ballon knapp vor der westdeutschen Grenze durch die Baumwipfel nach unten. Die Sicherheitsleute auf den Fersen kaufen sie noch einmal in verschiedensten Geschäften größere Stoffmengen zusammen, allein das macht sie bereits verdächtig. Es ist reines Spannungskino, wie Michael Herbig diese fast unglaubliche Fluchtgeschichte inszeniert. Die DDR als Schauplatz und die Motivation der Familie wird dabei nur mit den nötigsten Eckdaten versehen: Es stören der Mief der Spießbürgerlichkeit, die Perspektiven auf ein freies Leben, überall in den Szenen dieses Films lauern Augenpaare im Hintergrund. Jeder Handgriff unter Beobachtung, durch Passanten, Kollegen, Nachbarn. Kein Raum für Entfaltung und Gestaltung des eigenen Lebens. In Berlin schiebt sich als oberste Kategorie der Überwachung mehrmals der Fernsehturm am Alex ins Bild, und erinnert ein bisschen an die Space Needle in Seattle aus Alan J. Pakulas „The Parallax View“, einem der drei Filme aus dessen Paranoia-Trilogie.

Pures Spannungskino statt feiner Zwischentöne


Feine Zwischentöne haben in „Ballon“ keinen Platz. Herbig peitscht seine Szenen unbeirrbar durch, als müsste er selbst gegen den Sicherheitsdienst der DDR Tempo machen. Anders als etwa „Gundermann“, Andreas Dresens jüngst gestarteter Film über einen Querkopf, Liedermacher und informellen Mitarbeiter der Stasi, der einem ein ganz besonderes Gefühl für das Leben in der DDR vermittelt, könnte „Ballon“ quasi auch im Irak stattfinden. Herbig beschränkt sich darauf, beklemmende Szenen zu entwickeln, in fast jeder steht das Schicksal der Familie auf des Messers Schneide. Erstaunlich, dass sich diese Methode kaum erschöpft, „Ballon“ bleibt bis zum Schluss energetisch. Immerhin findet sich mit dem Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann), sozusagen dem obersten Jäger der Fluchtwilligen, doch eine Figur, die die Doppelbödigkeit dieses Systems thematisiert: Der Genosse Oberstleutnant ist als ziemlich abgefeimter Typ konzipiert, der die Grenzsoldaten mit lauerndem Blick prüft. Scheinbar selbst zweifelnd fragt er sie, ob es nicht besser wäre, die Feinde des Sozialismus ziehen zu lassen. Bei den Untergebenen bricht regelmäßig der Angstschweiß aus. Die Republik der Angst, auf systemischer Ebene kriminalistisch durchexerziert, und im Privaten, bei der Familie, zwischen gebotener Coolness und hochgradiger Nervosität, erweist sie sich als recht wirksame Doppelstrategie. Vielleicht tritt Deutschland 30 Jahre nach der Wende in eine Phase ein, die Distanz erlaubt. Die DDR wird hier nicht aufgearbeitet, sondern dient als dankbare Folie für einen Thriller, samt unwahrscheinlicher Fluchtgeschichte. Die Wächter des Honecker-Sozialismus haben das Nachsehen.