Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Gunnar Landsgesell · 30. Jul 2020 · Film

Auf der Couch in Tunis

Eine junge Frau kehrt nach Jahren in Paris nach Tunis zurück, um dort eine Praxis als Psychotherapeutin zu eröffnen. Die Leute dort stehen Schlange, wissen aber nicht, worum es bei dieser "Analyse" eigentlich geht. Ein Land im Umbruch, das sich irgendwie therapieren möchte, aber nicht weiß, wie.

Freud mit Fez? Anhand des Bildes, das sich Selma an die Wand gehängt hat, kann man schon erahnen, irgendwas läuft hier nicht richtig rund. Trotz oder wegen der Ironie. Die junge Frau, die aus Paris nach Tunis zurückgekehrt ist und hier eine Psychoanalyse-Praxis eröffnen will, hat es mehrfach schwer. Junge Frau ist das eine, dass sie nach Jahren als „Privilegierte“ aus Europa zurückkommt, das andere. Aber die Idee, mit Menschen gewerbsmäßig Gespräche zu führen, sorgt für besondere Irritation. Sie ist keine Ärztin, sie kann keine Rezepte ausstellen und in ihrer Praxis legt man sich auf eine Couch. Dennoch stellen sich viele Menschen hier in den Vororten von Tunis für einen Termin an. Und auch im Lauf des Geschehens ist nicht ganz klar, ob sie trotz aller Skepsis mehr über ihre eigenen Probleme reden oder lieber diese seltsame Rückkehrerin beäugen wollen.

Aufbruch in Tunis

Manele Labidi Labbé, geboren in Paris, die Eltern kamen aus Tunesien, hat mit ihrem ersten Spielfilm „Auf der Couch in Tunis“ den Versuch gewagt, die Psychologie eines Landes dramaturgisch zu einer Komödie zu verarbeiten. Vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings, der eigentlich nur in Tunesien zu einem gelebten Parlamentarismus führte, erlebt man ein Land im Auf- und Umbruch. Das ergibt viel Redebedarf, fand Labbé, und wollte filmisch verarbeiten, wie es den Leuten zugleich an Übung dabei fehlt. Die daraus entstehende Verwirrung der Gefühle, die Orientierungslosigkeit und kleine menschliche Makel wie Neid und Missgunst hat Labbé zu einem flirrenden Porträt einer Gesellschaft gestaltet. Da gibt es die Besitzerin eines Friseur-Salons, die zuerst kantig bei der jungen Therapeutin auftritt und sich dann an ihrem Erfolgsmodell anhängen möchte. Oder den Polizisten, der seine Position auszunützen versucht, um sich Selma anzunähern. Oder der realitätsferne Opa, der Selma Hilfe anbietet und ein Bild des potenziellen Helfers hervorkramt, und zwar das des tunesischen Diktators Ben Ali. Allerdings wurde dieser vor Jahren gestürzt. Vieles in „Auf der Couch in Tunis“ wirkt kursorisch, nur angerissen, vor allem die Beziehungen Selmas zu den Klienten. Labbé interessiert sich eindeutig mehr dafür, ein Stimmungsbild dieser Gesellschaft nach dem Arabischen Frühling zu zeichnen, als die Beziehungsprobleme einiger ihrer Kunden tiefer zu beleuchten. Doch zugleich spielt die Komödie gut mit der Kluft, die sich daraus ergibt, dass sie zwar vieles erörtern wollen, aber zugleich kaum eine Ahnung haben, worum es bei diesen Analysestunden mit dieser „post-kolonialen Französin“ eigentlich geht. Die Erwartungen sind hoch, doch bevor sie erfüllt werden, schlägt die Bürokratie zu und die Kleptokraten in den Amtsstuben halten die Hände auf, um die Lizenz für die Praxis zu vergeben. Daraus ergibt sich eine Culture-Clash-Komödie der anderen Art, in der das Gefühl der Fremdheit letztlich nie aufgelöst wird. So wenig man hier auf den Punkt kommt, so sehr schwankt man auch bei den filmischen Mitteln. Mal überwiegen komische Einschläge, dann wird es wieder ernst oder es legt sich eine groteske Ratlosigkeit über die Szenerie. Die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani wandelt dabei mit zumeist stoischer Gelassenheit durch die Biographien der Leute und spielt den Witz ihrer Figur subtil aus.