Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Walter Gasperi · 08. Sep 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (9.9. - 15.9. 2022)

Die LeinwandLounge in der Remise Bludenz startet mit dem Feelgood-Movie „Presque - Glück auf einer Skala von 1 bis 10" ins Herbstprogramm. Einen düsteren Blick auf die Entsorgung von westlichem Elektroschrott in Afrika wirft dagegen der Dokumentarfilm „Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier", der im Skino Schaan gezeigt wird.

Presque – Glück auf einer Skala von 1 bis 10: Der verschlossene Leichenbestatter Louis (Bernard Campan) und der philosophisch gebildete, aber durch eine zerebrale Lähmung körperlich beeinträchtigte Igor (Alexandre Jollien) sind ein ungleiches Duo, doch auf einem Leichentransport von Lausanne nach Südfrankreich kommen sie sich näher.
Nicht gerade neu ist der Plot von einem ungleichen Duo. Dennoch gelingt es dem französischen Regisseur und Schauspieler Bernard Campan und dem Walliser Philosophen Alexandre Jollien ihr Roadmovie neu und frisch wirken zu lassen. Das liegt zweifellos auch daran, dass sich Campan und Jollien schon seit 2004 kennen, befreundet sind und folglich bestens harmonieren. Dass der Walliser Jollien mit seiner zerebralen Lähmung viel von seiner eigenen Persönlichkeit und eigene Erfahrungen in den Film einbringen kann, trägt dabei nicht unwesentlich zur beglückenden Natürlichkeit und Echtheit von „Presque“ bei.
Zügig und dicht treiben Campan / Jollien mit prägnanter Bildsprache und punktgenauem Schnitt die Handlung voran. Von unauffälliger Eleganz ist die Inszenierung, die schon mit den in warme Farben und warmes Licht getauchten Bildern Wohlgefühl und Empathie verbreitet. Herzstück des Films sind aber die beiden von den Regisseuren selbst gespielten Protagonisten.
Souverän versteht es das Duo, das Erzähltempo zu kontrollieren, zwischen Fahrtszenen durch die malerische Westschweizer und französische Landschaft und Gesprächen zu wechseln. Dazu kommt der empathische Blick auf diese lädierten Figuren, die langsam auftauen, bis Louis Igor offen als seinen Freund bezeichnet.
Da kann man natürlich beklagen, dass diese Komödie allzu harmoniesüchtig und rund sei, doch nicht übersehen sollte man, dass hier die Gefühle und Gedanken, die Menschenliebe und die Wärme, die aus diesem Film strahlen, nicht kühl kalkuliert, sondern echt wirken und diese Lektion in Sachen Freundschaft und Lebensglück durch diese Echtheit berührt, mit innerer Wärme erfüllt und glücklich und gelöst mit einem Lächeln aus dem Kino schweben lässt.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 14.9., 19 Uhr

Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier: Bildgewaltig und mit starkem Sounddesign zeichnen Florian Weigensamer und Christian Krönes ein dichtes und erschütterndes Bild vom Leben und der Arbeit im ghanaischen Agbogloshie, in dem jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott illegal entsorgt werden.
Nie verlässt der Film diese Müllhalde, sondern macht sie zur Welt. Von den eröffnenden und finalen Inserts abgesehen wird auf Off-Kommentar verzichtet und der filmische Raum ganz den Bewohner:innen dieser Müllhalde überlassen. Sie werden nicht interviewt, sondern nur begleitet, kommentieren quasi getrennt von den Bildern ihr Leben. Bald folgt das Regie-Duo einem Jungen der mit einem Magneten Metall sammelt, das er einem Händler verkauft, der den Jungen übers Ohr hauen will, bald einem Mann, der Elektroschrott verbrennt, um das Metall herauszulösen und zu Geld zu machen.
Nah dran sind die Regisseure an ihren Protagonist:innen, denen sie den Film auch gewidmet haben, aber nie ist ihr Blick voyeuristisch. Vielmehr bewegen sie sich auf Augenhöhe mit ihnen, stehen nicht über ihnen, sondern tauchen ein in ihre Welt und ihr Leben und verankern sie in dieser beklemmenden Umwelt.
Kein Infotainment à la Erwin Wagenhofer wird hier geboten, sondern eher ein Dokumentarfilm im Stil von Michael Glawoggers „Workingman´s  Death". Fast physisch macht dieser Film die Arbeits- und Lebensbedingungen erfahrbar, die Hitze und die schädlichen Dämpfe beim Verbrennen des Mülls, die Gefahr auf dem auf Wasser quasi schwimmenden Boden und fragt immer implizit nach der Verantwortung der reichen Industrienationen, die Afrika quasi als Müllplatz betrachten, dorthin den Elektroschrott entsorgen, um dann das daraus gewonnene Metall wieder zur Produktion neuer Elektroprodukte zu verwenden.
So regt „Welcome to Sodom“ zum Nachdenken über unser Konsumverhalten an – das finale Insert, in dem der Zuschauer direkt angesprochen und darauf hingewiesen wird, wäre nicht nötig gewesen – und sorgt mit seinen Bildern und seinem geduldigen und insistierenden Blick, der den Protagonist:innen auch dadurch Würde verleiht, dass er ihnen Zeit und Raum lässt, dafür, dass diese Bilder und auch die Gesichter haften bleiben.
Skino Schaan: Do 15.9., 18 Uhr


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