Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Walter Gasperi · 24. Feb 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (25.2. - 3.3. 2022)

Im Kinotheater Madlen in Heerbrugg steht diese Woche Leos Carax´ furioses Musical „Annette" auf dem Programm. Die LeinwandLounge in der Remise Bludenz zeigt Sebastian Meises großartigen Gefängnisfilm „Große Freiheit", der an die Kriminalisierung von Homosexuellen im Nachkriegsdeutschland erinnert.

Annette: Die Liebesgeschichte zwischen einem Stand-Up-Comedian (Adam Driver) und einer Opernsängerin (Marion Cotillard) dient Leos Carax als Grundlage für ein furioses Musical. Spektakulär ist die eröffnende Plansequenz, bei der Carax den Illusionscharakter der Handlung bewusst macht und die folgende Geschichte als Spiel kennzeichnet. Gegensätze lässt er mit den beiden Protagonist:innen aufeinanderprallen und bald auch das Liebesglück Risse bekommen, bis zunehmend die Abgründe des Comedians zutage treten. Aber auch als Kommentar auf das Verhältnis von Hoch- und Populärkultur, Künstler:innen und Publikum sowie zur medialen Vermarktung lässt sich dieser Film lesen, in dem auch fast jeder Dialog gesungen wird.
Entfesseltes Kino bietet „Annette" mit seinen grandiosen Bildern, dem fulminanten Spiel mit Licht und Farbe. An Realismus ist Carax nicht interessiert, sondern große Oper will er bieten. Pures Kino ist das und doch stellen sich nach einer wahrhaft sensationellen, atemberaubenden und mitreißenden ersten Stunde in der zweiten Hälfte des mit 140 Minuten überlangen Films gewisse Längen ein. Etwas dünn ist letztlich die Handlung, wirklich entwickelt wird außer der Liebesgeschichte wenig, doch gering wiegt dieser Einwand angesichts eines Films, der mit seiner Leidenschaftlichkeit und seiner Bildmacht wieder einmal nicht nur zeigt, was Kino bieten kann, sondern auch, dass so ein Film nur auf der großen Kinoleinwand und im Kinosaal seine volle Wirkung entfalten kann.
Kinotheater Madlen, Heerbrugg: Mo 28.2., 20.15 Uhr

Große Freiheit: Nur lieben will Hans (Franz Rogowski), doch weil er auf Männer steht, kommt er dafür im Nachkriegsdeutschland dreimal ins Gefängnis.
In verschachtelten Episoden erzählt Sebastian Meise in seinem vielfach preisgekrönten Spielfilm, die gesellschaftlichen Hintergründe spart der Österreicher konsequent aus. Abgesehen von der Gerichtsszene am Beginn und von dem Ende konzentriert er sich völlig aufs Gefängnis. Mit gedämpften, schmutzigen Blau- und Grautönen, der nah geführten Kamera von Crystel Fournier und dem kahlen und tristen Gefängnisambiente macht er die beklemmende Enge in der Haft spürbar, erzeugt aber gleichzeitig Nähe zu den Figuren und Intimität.
Neben der aufs wesentliche konzentrierten und stringenten, minimalistischen Inszenierung, die auch durch den ebenso reduzierten wie pointierten Musikeinsatz besticht, ist es das Spiel von Franz Rogowski und Georg Friedrich, das dieses Gefängnisdrama zum großen Film macht. Zurückhaltend spielen die beiden, doch in Blicken und Gesten macht Rogowski bewegend die Sehnsüchte von Hans spürbar, während Friedrich ebenso eindrücklich Viktors Ablehnung gegenüber dem Homosexuellen wie seine langsame Öffnung und Entwicklung von Empathie vermittelt.
Zentrale Bedeutung gewinnt dabei die Weitergabe von Zigaretten und Feuer: Mit diesen Lichtpunkten im Dunkel der Isolierzelle und diesen Akten der Solidarität und des Mitgefühls setzt Meise auch ein Zeichen der Hoffnung in diesem Drama, das einerseits von der unstillbaren Sehnsucht nach Nähe und Liebe erzählt, andererseits aber auch an einen bedrückenden Aspekt deutscher Nachkriegsgeschichte erinnert und allen verfolgten Homosexuellen ein Denkmal setzt.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 1.3., 19 Uhr

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