L-E-V Dance Company mit „Into the Hairy“ beim Bregenzer Frühling (Foto: Katerina Jezz/L-E-V Dance/Bregenzer Frühling)
Walter Gasperi · 23. Jun 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (24.6. - 30.6. 2022)

Das TaSKino Feldkirch zeigt diese Woche Andreas Dresens über weite Strecken mitreißende Dramödie "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush". Das Harder Open-Air "Hardmovie" startet sein Programm am Bodenseeufer mit der Kunstsatire "Der Mann, der seine Haut verkaufte".

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush: Unermüdlich kämpft die Deutschtürkin Rabiye Kurnaz, unterstützt von ihrem Anwalt, um die Freilassung ihres Sohns Murat, der im Oktober 2001 in Pakistan verhaftet und als angebliches Al-Kaida-Mitglied nach Guantanamo verschleppt wurde.
Andreas Dresen legt diese Geschichte nicht als Thriller oder Drama, sondern als Dramödie an. Von der ersten Szene an schafft der 59-jährige Deutsche mit beweglicher Handkamera und beiläufiger, aber präziser Einbettung ins Milieu Nähe zu seiner Protagonistin. Man spürt stets Dresens Liebe zu dieser einfachen, aber temperamentvollen und entschlossenen Bremer Hausfrau.
Wärme und tiefe Menschlichkeit entwickelt „Rabiye Kurnaz …" dabei aber auch durch das leidenschaftliche Spiel von Meltem Kaptan. Mehr noch als mit ihrer Körperfülle macht sie mit ihrem bestimmten Auftreten oder ihren rasanten Fahrten mit dem Mercedes klar, dass sie kaum etwas stoppen kann. Keine Hemmungen kennt sie, geht offen auf die Menschen zu, legt aber ihnen gegenüber auch immer ein Einfühlungsvermögen an den Tag, das das Gegenüber rasch für sie einnimmt. So gewinnt sie auch den Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) dafür, für ihre Sache zu kämpfen.
Einen treffenden Kontrapunkt hat diese vitale Frau in diesem nüchtern-zurückhaltenden Anwalt, den Alexander Scheer wunderbar trocken-lakonisch spielt. Ein ungleiches Paar ist das, das an Judi Dench und Steve Coogan in Stephen Frears „Philomena" erinnert. An Facetten gewinnt die Protagonistin dabei, wenn Dresen zeigt, wie der Kampf um die Freilassung ihres Sohnes schließlich bei ihr doch Spuren hinterlässt, sie einerseits erkennt, dass sie ihre beiden anderen Söhne zu sehr vernachlässigt, und sie andererseits körperlich Tribut zollt.
Insgesamt bleiben zwar Zweifel, ob man denn einen so leichten und komödiantischen Film zu einem so ernsten und erschütternden Thema wie Guantanamo und den damit verbundenen Folterungen machen darf. Andererseits bringen vielleicht Optimismus und Lebensfreude mehr als schonungsloser Realismus und unbestritten ist, dass Dresen und sein Team mit ihrem entschiedenen Engagement für Rechtsstaatlichkeit und gegen illegale Inhaftierung und bürokratische Winkelzüge das Herz am rechten Fleck haben.
TaSKino Feldkirch im Kino Rio: Mo 27.6., 18 Uhr; Di 28.6. + Do 30.6. – jeweils 20.30 Uhr

Der Mann, der seine Haut verkaufte:  Dem Syrer Sam (Yahya Mahayni) gelingt 2011 zwar die Flucht vor dem beginnenden Bürgerkrieg in den Libanon, doch Europa scheint unerreichbar. Dann aber entdeckt der provokative Künstler Jeffrey Godefroi (Koen de Bouw) den Flüchtling und bietet ihm an, seinen Rücken zu tätowieren. Problemlos kann Sam so als lebendiges Kunstwerk um die Welt reisen. Bald zeigt sich aber, dass dieser Teufelspakt seinen Preis hat.
Die Geschichte vom lebendigen Kunstwerk hat die Tunesierin Kaouther Ben Hania nicht erfunden, sondern sie ließ sich vom Schweizer Tim Steiner inspirieren. Dieser verkaufte 2006 seinen Rücken gegen prozentuale Beteiligung an den Einnahmen dem belgischen Künstler Wim Delvoye zur Tätowierung. Nur leicht überzeichnet ist Ben Hanias Blick auf den Kunstbetrieb und gewinnt allein schon durch die klinisch sauberen und von kaltem Weiß dominierten Galerien sowie einen Versicherungsagenten und die von Monica Bellucci hinreißend gespielte Assistentin des Künstlers satirischen Biss.
Volle Schlagkraft entwickelt „Der Mann, der seine Haut verkaufte" aber erst durch das Spannungsfeld von Flüchtlingsnot und Überlebenskampf auf der einen Seite und dem abgehobenen Kunstbetrieb und dem Geschäft, das mit den Schwachen gemacht wird, auf der anderen. Um den Wert oder vielmehr die unterschiedliche Wertigkeit von Menschen geht es hier immer wieder.
Ben Hania versteht es dabei, unterstützt von einem starken Ensemble, die Handlung zügig voranzutreiben und mit überraschenden Wendungen, den satirischen Biss noch zu verstärken. – Großes Vergnügen bereitet so diese Abrechnung mit dem Kunstbetrieb, die sich hinter Ruben Östlunds Kunstmarkt-Satire „The Square" nicht verstecken muss.
Hardmovie, Festwiese am See, Hard: Do 30.6., 21.15 Uhr (Einlass und Bewirtung: ab 19 Uhr)


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