Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Walter Gasperi · 12. Aug 2021 · Film

Aktuell in den Filmclubs (13.8. - 19.8. 2021)

Beim Rankweiler Open-Air läuft diese Woche unter anderem Paul Greengrass´ Western "Neues aus der Welt". Im Skino Schaan steht mit Nadine Labakis "Capernaum" ein bewegender Spielfilm über Kinder in Beirut auf dem Programm.

Neues aus der Welt: Texas, 1870: Ein ehemaliger Captain der Südstaaten-Armee (Tom Hanks) soll ein deutsches Mädchen (Helena Zengel), das vor Jahren von den Kiowas verschleppt wurde, zu seinen rund 600 Kilometer entfernt lebenden Verwandten bringen.
Das klassische Motiv vom Odd Couple, das langsam zueinander findet, bedient Regisseur Paul Greengrass mit diesem Duo. Fast nur mit Blicken und Gesten kann Helena Zengel dabei kommunizieren, doch Tom Hanks lernt von ihr auch einige Sätze Kiowa. Zu den Stärken zählt zweifellos, wie Greengrass immer wieder Raum für Mimik und Gestik lässt und Dialog nur reduziert einsetzt.
In klassischer Manier solcher Roadmovies wechseln auch ruhige Momente zwischen dem alten Soldaten und dem Mädchen und Actionszenen. So sehr der Regisseur der "Bourne"-Serie in diesen Szenen auch demonstriert, wie meisterhaft er packende Action inszenieren kann, so kennzeichnet "Neues aus der Welt" insgesamt doch ein wunderbar ruhiger und unaufgeregter Erzählrhythmus. Abgesehen von zwar großartigen, aber doch zu exzessiv eingesetzten Drohnenaufnahmen der weiten Prärie verzichtet der Brite auf alle Spielereien, erzählt funktional und kontrolliert und lässt immer spüren, dass er hinter dieser Geschichte und seinen Figuren steht.
Wie der Captain immer vom geraden Blick nach vorne spricht, so geradlinig und nach vorne gerichtet ist "Neues aus der Welt" auch erzählt. Da gibt es keine Nebengeschichten und die traumatischen Erinnerungen, die beide mit sich tragen und die erst langsam durchbrechen, werden auch nicht visualisiert, sondern fast nur beiläufig angesprochen.
Wie aus der Zeit gefallen wirkt dieser Film in seiner Einfachheit und Geradlinigkeit, aber gerade diese selbstverständliche Behauptung des Unzeitgemäßen und das große Understatement der Inszenierung, das für Leichtigkeit sorgt, sind Stärken dieses schönen Western.
Filme unter Sternen, Marktplatz Rankweil: Do 19.8., 21 Uhr


Capernaum: Nicht im biblischen Kapharnaum, sondern in Beirut spielt Nadine Labakis in Cannes mehrfach preisgekrönter dritter Spielfilm. Bezeichnet wird mit dem hebräischen Wort „Capharnaum“ ein Ort voller Chaos und Durcheinander. So stellt sich die Welt für den etwa zwölfjährigen Zain (Zain Al Rafeea) dar, der wegen eines Gewaltverbrechens, in das Labaki erst spät Einblick gewährt, zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Wieder steht er vor Gericht, ist nun aber der Kläger, während auf der Anklagebank seine Eltern sitzen, denen er vorwirft, dass sie ihn in die Welt gesetzt haben.
Grotesk wirkt dieser Vorwurf zunächst, doch die folgenden Rückblenden zeichnen ein erschütterndes Bild von Zains Leben: Mit zahlreichen Geschwistern – wie viele es genau sind, weiß er nicht – schläft er in einem engen Raum, tagsüber muss er für einen Händler Gas- und Wasserflaschen schleppen, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Fürsorglich kümmert er sich um seine elfjährige Schwester, doch als er nicht verhindern kann, dass sie von den Eltern verheiratet wird, haut er ab und streift auf der Suche nach Arbeit durch die Straßen von Beirut. Erstmals findet er dabei aber auch Geborgenheit bei einer illegal im Libanon lebenden Äthiopierin, für deren Baby er sorgt, während sie arbeitet. Doch nur kurz währt dieser Moment der Ruhe.
An Meisterwerke des italienischen Neorealismus wie Vittorio de Sicas „Schuhputzer“ erinnert „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ ebenso wie an Sean Bakers „The Florida Project“. Ganz aus Zains Perspektive erzählt die 44-jährige Libanesin, die beim Prozess auch selbst die Anwältin spielt. Sie ist immer auf Augenhöhe des Jungen und versetzt den Zuschauer mit beweglicher Kamera und genauem Blick für Details in dessen Welt. Sechs Monate hat Labaki in den Armenvierteln gedreht und hatte am Ende 520 Stunden Material, aber nichts wirkt hier gekünstelt oder gestellt.
Die größte Stärke dieses bewegenden Sozialdramas, das auch den unbändigen Überlebenswillen seines kleinen Protagonisten feiert, sind aber zweifellos die Laiendarsteller. Natürlich und mit großer Leidenschaft spielen vor allem die Kinder, deren Rollen sich teilweise an ihrem eigenen Schicksal orientieren. Voll Empathie blickt Labaki auf sie, ergreift leidenschaftlich Partei, gibt den Schwachen mit ihrem Film eine Stimme und klagt mit aller Schärfe die Erwachsenen an, die sich nicht um die Kinder kümmern (können), sondern diese rücksichtslos ausbeuten.
Skino Schaan: Do 19.8., 18 Uhr


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