Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Fritz Jurmann · 13. Mär 2023 · Musik

Donizettis „Maria Stuarda“ am Landestheater: Aufwühlender Zickenkrieg der Königinnen

Große Oper am Kornmarkt in der jährlichen Koproduktion des Landestheaters mit dem Symphonieorchester Vorarlberg, diesmal mit Donizettis Belcanto-Blockbuster „Maria Stuarda“. Eine gute Wahl, weil vieles in diesem Werk sich sehr gut und glaubhaft umsetzen lässt: Virtuose Koloraturkunst, leichtfüßige Italianità und schmelzende Melodik im Orchester, eingebettet in ein klug inszeniertes intrigantes Ränkespiel am englischen Hof, das der aktuellen Situation um Meghan und Harry nicht unähnlich ist. Freilich auch inmitten einer äußerst dürftigen Ausstattung, in ihrer Kargheit geradezu symbolhaft für die derzeitige Budgetsituation an unserer Landesbühne. Nicht zu tolerieren dagegen ist die deutsche Übertitelung, die meist kaum lesbar bleibt und als Grundausstattung eines Musiktheaters schleunigst und noch vor der Sanierung des Hauses erneuert werden sollte. Tipp: Stärkere Glühbirne!

Große Literaturgeschichte

Nun also dieses Stück großer Literaturgeschichte aus dem alten England, auf das Schauspiel „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller zurückgehend, das 1958 im Rahmen der Bregenzer Festspiele genau an diesem Ort in einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters mit Größen wie Paula Wessely unter der Regie von Leopold Lindtberg gegeben wurde. Die auf dieser Basis 1835 entstandene, mehrfach von der Zensur verbotene und umgearbeitete Oper Donizettis allerdings wurde hier zuvor nie gespielt, war somit eine Vorarlberger Erstaufführung.
Die damals herrschende englische Königin Elisabetta sieht in der Königin von Schottland, Maria Stuarda, eine erbitterte Widersacherin um Macht und Anspruch und hat sie auch seit 18 Jahren ihrer Freiheit beraubt, wenn auch in prunkvollen Schlössern mit Lustgärten. Die Oper steht und fällt nun mit der typengerechten Besetzung der beiden Königinnen, zweier emanzipierter Primadonnen, die jede auf ihre Art mit der anderen in Clinch gerät, wo es um Macht und letztlich auch ums nackte Leben geht – eine Begegnung, ein Zickenkrieg, der angeblich real nie vorgekommen ist. Und darin hat das Casting hier mit zwei attraktiven, schauspielerisch und sanglich überragenden Bühnenpersönlichkeiten ins Schwarze getroffen.

Überragende Bühnenpersönlichkeiten

Die ukrainische Mezzosopranistin Sofia Soloviy als Elisabetta hat etwas Vamphaftes an sich. Sie lässt nie einen Zweifel an der Hartherzigkeit ihrer Partie, ihrem Machtanspruch und Durchsetzungsvermögen in politischen Entscheidungen, auch stimmlich in scharfen Attacken herausfordernd und bestimmend bis zum Letzten. Die slowakische Sopranistin Eva Bodorová als Maria Stuarda dagegen besitzt ihre stärksten Momente nicht in Kraftausbrüchen und extremen Spitzentönen, sondern in der Kultiviertheit ihrer Stimme, die in traumhaft dunklem Mezza voce etwa im Gebet des 3. Aktes und in einer breiten Palette ihrer schmerzlichen Ausdrucksmöglichkeiten im Finale klar wird.    
Die Geschichte fügt sich emotional zum Dreieck, denn der koreanische Tenor Hyunduk Kim als Spielfigur Graf Roberto ist beiden Damen zugleich zugetan und umgekehrt, fleht bei Elisabetta vergebens um die Freilassung von Maria. Freilich wird diese weibliche Zuneigung im Publikum nicht recht glaubhaft und das Dreieck gerät ins Ungleichgewicht, da sich der Graf weder in seinen körperlichen Vorzügen auszeichnet, wie man sie in der Oper von einem tenoralen Liebhaber erwartet, noch durch die Enge seiner Stimme. Dass der Sänger des Roberto im Schlussapplaus triumphierend beweist, dass er zum Publikumsliebling geworden ist, gehört zu den größten Überraschungen der heurigen Opernproduktion.

Grauer Bretterverschlag

Das Ganze begibt sich in einem Interieur (Sabina Moncys), das man mit etwas gutem Willen als hellgrau gestrichener, hoher Bretterverschlag bezeichnen könnte, auch als eine Art Gefängnis im realen und übertragenen Sinn, mit drei verschieden hohen Eingängen. Durch den ersten, großen schreitet die Königin, durch den zweiten das Volk, der dritte ist so niedrig, dass man sich beim Durchgehen bücken muss als Zeichen der Unterwerfung – einer der vielen kleinen optischen und gestalterischen Anmerkungen der argentinischen Regisseurin und Choreografin Teresa Rotemberg, die im Übrigen ihre Figuren sehr genau in den Wellenbewegungen der Musik führt, oft nur mit kleinen Blicken und Gesten, und am Schluss, wenn alles gesagt ist und die Streitthemen und Kostüme bis in unsere Zeit hineinragen, zu einem anrührenden letalen Finale für eine Maria Stuarda führt, die angesichts des nahenden Todes allen alles verzeiht.
Und doch bleibt einem das Gefühl, dass ihre Widersacherin Königin Elisabetta nach ihrem Todesurteil nicht mehr ruhig wird schlafen können. Auf dem Weg zum Schafott wird Maria in kleineren Partien begleitet von dem Ukrainer Andrii Ganchuk als Talbot, der sich mit seinem wohlgerundeten Bass am Schluss hilfreich als Priester erweist, dem amerikanischen Bariton Gabriel Wernick als zwielichtigem Schatzmeister Cecil und der kroatischen Mezzosopranistin Lucjia Varsic als lieblich hilfreiche Amme Anna. Der an die 30-köpfige Bregenzer Festspielchor erweist sich in der bewährten Einstudierung durch Benjamin Lack in vielfältigen Aufgaben körperlich und stimmlich als wendiger, klangvoller Apparat. 

Meisterhaft gewichtete Musik

„Es ist alles in der Musik“, meinte Regisseurin Rotemberg in einem Vorgespräch, und wirklich ist diese Oper meisterhaft gewichtet und toll aufgebaut, mit der ganzen Fülle des schöpferischen Reichtums von Gaetano Donizetti, der ihm schließlich auch zu Weltruhm und seinen Werken zu bleibendem Bestand verhalf. Wie Perlenketten reihen sich im Laufe des Abends die Arien und Duette aneinander, die er seinen Akteuren und Akteurinnen abfordert, eine kostbarer als die andere, emotional berührend oder aufheiternd und so typisch charakterisierend wie etwa das Sextett im Finale II oder die innige Beichtszene.
Der peruanisch-finnische Dirigent Arturo Alvarado hat da einen besonderen Zugang zu dieser Musik. Er verweigert sich der noch immer allgegenwärtigen historisch informierten Spielweise, wie sie einer Belcanto-Oper eigentlich gebühren würde, weil ihm das zu puritanisch und blutleer erscheint. Er bevorzugt dafür eine lebendig durchmischte, klanglich zupackende und temperamentvolle Art des Musizierens „aus beiden Welten“ und findet damit bei den Musiker:innen begeisterte Aufnahme. Vor allem ist Alvarado auch ein Meister des Differenzierens, der leisen Töne, mit denen er auch in der Akustik des Theaters die Sänger stützt und begleitet, aber nie übertrumpfen will.
Insgesamt also eine Produktion, die entsprechende Beachtung verdient, wie auch der minutenlange begeisterte Schlussapplaus am gut besuchten Kornmarkt bewiesen hat. Grassierende Unkenrufe, man wolle im Zuge der aktuellen Sparmaßnahmen am Landestheater die jährliche Opernproduktion als pekuniären Ballast abwerfen und in Zukunft nur noch alle zwei Jahre stattfinden lassen, werden umso realistischer, je mehr man sie dementiert.

„Maria Stuarda“ von Gaetano Donizetti
weitere Vorstellungen: 
16./22./24./28.3. jeweils 19.30 sowie 19./26.3. und 2.4. jeweils 17 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz

https://landestheater.org/spielplan/stuecke-1/detail/maria-stuarda/