Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 15. Jän 2023 · Theater

„Der zerbrochene Krug“ im TAK: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Die Premiere von Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ im TAK wurde vom Publikum umjubelt. Wieder einmal zeigte es sich, dass das über 200 Jahre alte Stück ein Dauerbrenner ist. Regisseur Oliver Vorwerk machte seine TAK-Eigenproduktion zu einem Spiegelbild der heutigen Gesellschaft, in der sich jeder nimmt, was er will, Selbstdarsteller:innen das Sagen haben und die Gerichtsbarkeit eine einzige Mauschelei ist.

Der Regisseur ließ sich von Ausstatter Alexander Grüner eine riesige Tischfläche auf die Bühne bauen, die wie ein zweiter Bühnenboden fungierte, leider aber die Einsehbarkeit in den vorderen Sitzreihen einschränkte. Alles begann mit einem antiken Chor, der als Projektion auf dem Schnürchen Vorhang Texte aus Sophokles „König Ödipus“ und Ilya Kaminskys „Republik der Taubheit“ sprach. Damit präsentierten sich zugleich die sechs Schauspieler:innen, die im Anschluss das Stück „Der zerbrochene Krug“ interpretierten. „Oh richte die Stadt doch wieder auf“, wurde skandiert und die Klage: „Warum hast du das alles zugelassen?“ Im Hintergrund war dazu eine Bild mit Jesus am Kreuz zu sehen. In Kaminskys Werk heißt es unter anderem: „Jahre später werden einige sagen, nichts von alledem habe sich zugetragen“, und „niemand kann euch hören“. Die Hauptbotschaft des Chores aber lautete: „Warum hast du all das zugelassen? Und die Antwort wird ein Echo sein; Warum hast Du das alles zugelassen?“ Damit ist vorweg schon alles über die Intention des Regisseurs zu Heinrich von Kleists Werk „Der zerbrochene Krug“ gesagt. Denn in diesem Stück ist nicht nur der Krug von Frau Marthe Rull zerstört, sondern auch der Glaube an eine gerechte Gesellschaft. 

Alles nur Oberfläche

Und so sieht das Publikum als ersten einen Dorfrichter Adam (Ingo Ospelt) in weißen Unterhosen, der mächtig ramponiert an Stirn, Hinterkopf und Wange auf dem Tisch steht und versucht, seine Hosen anzuziehen. Seine Verletzungen sehen schrecklich aus, spürbar sind sie aber anscheinend nicht. Alles nur geschminkte Oberfläche. Sein Schreiber Licht (Thomas Beck) kommt auf hohen Schuhen angestöckelt, im schicken gemusterten Anzug und schwarzem Hemd, auf seiner Brust baumelt ein großer Kreuz-Anhänger. Eine Art Priester? Kaum haben die beiden die ersten Worte gewechselt, senkt sich ein großer Spiegel von oben. Big mirror is watching you! Eine dritte Person tritt auf – der Gerichtsrat Walter (Sylvana Schreiber), ein androgynes Wesen im bauchfreien Top mit großen Tattoos an Hals und Gesicht. Verletzungen der gewollten Art. Er/sie beginnt ein Gespräch mit Schreiber Licht, während der Dorfrichter unter dem Tisch zuhört. Auch das Gespräch zwischen Eve (Christiani Wetter) und ihrem Verlobten Ruprecht Tümpel (Georg Melich) hört Adam auf diese Weise mit. Und dann taucht sie auf: Frau Marthe Rull (Nicole Spiekermann) die Klägerin, die das Geschehen um den zerbrochenen Krug wie eine antike Tragödie schildert.

Mit einem Vergleich ist alles geregelt

So nimmt die Gerechtigkeit ihren Lauf, oder eben nicht. Denn in der Inszenierung von Oliver Vorwerk steht das Mauscheln im Mittelpunkt, bei dem eine Hand die andere wäscht – ein Gang und Gäbe unter den Erwachsenen, das allerdings die jungen Leute wie Eve und Ruprecht nicht mehr mittragen wollen. Doch wie sollen sie sich diesen Gepflogenheiten entziehen, wenn von vornherein feststeht: Die Sache eignet sich zum Vergleich. Wer will denn schon die Wahrheit herausfinden? Viel zu mühsam. Nein, hier kocht jeder seine eigene Suppe. Und so ereignet sich plötzlich ein magisches Tischlein-Deck-Dich, die „TAK-Statisten“, darunter der Intendant, der Dramaturg, die Techniker und andere TAK-Mitarbeiter:innen füllen die große Tischfläche reichlich mit Brezeln, Würsten, Wein und Blumen, setzen sich alle und speisen gemeinsam. Dann senkt sich der Schnürl-Vorhang und die Gesellschaft bleibt wie eingefroren am Tisch. Nun erzählt Eve an der Rampe die wahre Geschichte der Tatnacht. Christiani Wetter schuf mit ihrem Monolog einen ruhigen Moment in der ansonsten lautstarken Inszenierung, in der Gespräche messerscharf unterbrochen werden, keiner dem anderen zuhört, mit vollem Mund geredet wird – auch Verhaltensregeln gibt es keine – und jeder nur darauf bedacht ist, irgendwie aus der Sache rauszukommen, ohne Schaden zu nehmen. So etwas wie Verantwortungsgefühl wurde längst an den Garderoben abgegeben.
Zum Schluss wird Eve, in diesem Stück eigentlich das „Opfer“, die Köpfe jedes einzelnen auf den Tisch drücken und dabei nur Ruprecht auslassen. Mit ihm darf sie dann auf dem Tisch tanzen, saufen und fressen – denn wie schrieb schon Bert Brecht in seiner Ballade „Wovon lebt der Mensch“ für die Dreigroschenoper: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Das Lied wurde in dieser Inszenierung unter anderem von Schreiber Licht und von Miriam Dey als Frau Brigitte gesungen. Brigitte transportierte dabei die Art und Weise von Verschwörungstheoretikern, indem sie behauptet, sie habe die Spur eines Teufelsfußes gefunden und den Teufel habe kein „Atheist noch bündig wegbewiesen“. Endlich ist der Schuldige für den zerbrochenen Krug gefunden. Und der Jugend in dieser Runde ist offenbar nur eines wichtig: „Can’t take my eyes off you“.

TAK Theater Liechtenstein: „Der zebrochen Krug“ v. Heinrich von Kleist
nächste Vorstellungen am 20.1., 7.2. und 16.3.23 um 20.09
TAK, Schaan
www.tak.li