Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 02. Okt 2017 · CD-Tipp

Tori Amos: Native Invader

„Es sollte anfangs eigentlich keine Platte voller Leid, Blut und Knochen werden, es sollte nicht um Spaltung gehen. Aber die Musen bestanden darauf, dass ich die Konflikte, die die Nation traumatisierten, hörte und beobachtete und über diese rohen Gefühle schrieb. Hoffentlich werden die Menschen die Kraft und die Widerstandsfähigkeit in diesen Songs finden, damit sie die Energie aufnehmen, um die Stürme zu überleben, in denen wir uns gegenwärtig befinden.“ Tori Amos war immer schon eine kritische Stimme und ist es auch auf ihrem 15. Studioalbum geblieben.

Klimawandel, Umweltkatastrophen, Zerstörungswut, Internetwahnsinn, der gesellschaftliche und moralische Verfall in Trump-Land, aber auch all die Dinge, die Menschen anderen Menschen in Beziehungskisten so antun – Amos legt den Finger in die offenen Wunden. Aber ihr Werkzeug ist nicht der Vorschlaghammer, sondern die feine Klinge, sie setzt auf Poesie statt auf grelle Effekthascherei und Plakatives. Vor allem versteht es die Mittfünfzigerin immer noch, schwebende Melodien von bezaubernder Schönheit zu erschaffen und sie mithilfe ihrer an Kate Bush erinnernden, magisch expressiven Stimme mit großer Intensität und viel Gefühl aufzuladen. Bestes Beispiel dafür ist der phänomenale, mehr als siebenminütige Opener „Reindeer King“, der Tori Amos „at her best“ zeigt. Aber auch einfachste Pianoballaden wie „Breakaway“ oder „Climb“ verfügen über eine große Anziehungskraft. Für den Sound zeichnet in erster Linie Amos’ Mann, der Tontechniker Mark Hawley, verantwortlich, der „Native Invader“ in seinem Studio in Cornwall aufgenommen hat. Zum alles dominierenden Bösendorfer gesellen sich Fender Rhodes, dezente Synthesizer, Streicher, Akustik- und Wah-Wah-E-Gitarren – das kann manchmal ganz schön opulent sein, dient aber letztlich immer perfekt dazu, die unglaubliche Stimme von Tori Amos ins ideale Licht zu rücken und Verzweiflung und Düsternis in Melancholie und Wärme umzuwandeln. Etwa im finalen, eigentlich sehr privaten Song „Mary’s Eyes“, in dem Tori Amos Sister Despair und den Dream King beschwört, ihrer Mutter Maryellen Amos das Bewusstsein und die Sprechfähigkeit zurückzugeben, die diese nach einem Schlaganfall im letzten Januar verloren hat. Das beste Tori Amos-Album seit Langem!

(Decca/(Universal)