Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 03. Mai 2017 · CD-Tipp

Tomasz Stanko New York Quartet: December Avenue

Das vor vier Jahren veröffentlichte Doppelalbum „Wisława“ zählt im exquisiten Oeuvre des polnischen Trompeters Tomasz Stanko auf ECM zu den absoluten Highlights und dokumentiert gleichzeitig seine Hinwendung zur Jazz-Metropole New York, wo er schon vor zehn Jahren seine Zelte aufgeschlagen hat. Mit „December Avenue“, seiner zwölften Produktion als Bandleader beim renommierten Münchner Label, schreibt Stanko diese Erfolgsgeschichte nun auf eindrucksvolle Weise weiter und setzt dabei wieder auf den wendigen, kubanischstämmigen Pianisten David Virelles und den quirlig-einfühlsamen, superkreativen Drummer Gerald Cleaver.

Am Kontrabass präsentiert er als Nachfolger von Thomas Morgan den von den Jungfern-Inseln stammenden Kontrabassisten Reuben Rogers, einen Multiinstrumentalisten, der sich von den Calypso-Rhythmen seiner Kindheit genauso angezogen fühlt wie von der tiefen Emotionalität des Gospels oder der Improvisationskunst des Saxophonisten Charles Lloyd, in dessen Band er bekannt wurde. Die mit drei Gruppenimprovisationen angereicherten neun Eigenkompositionen, die seinen Mitstreitern viel Raum für kreative Ideen lassen, präsentieren Tomasz Stanko in Topform. Mit seinem einzigartigen, rauchig-angehauchten, leicht vibrierenden Trompetenton verleiht er lyrisch-melancholischen Klangbildern eine unglaubliche Tiefenwirkung, wenn er aber in Postbop-Manier zur Attacke bläst, legt er in einem unvermuteten Ausmaß an seltsam unterkühlt wirkender Schärfe zu und bohrt sich in die Herzen der Hörer. Cleaver und Rogers harmonieren perfekt als ideensprühendes Rhythmusgespann und erweisen sich dem ebenso inspiriert agierenden Pianisten David Virelles in Sachen Einfallsreichtum stets ebenbürtig. Der gestaltet mit zart perlenden Läufen und unorthodoxen Tonmalereien, ruppigen Clusters und kraftvollen afrokubanischen Grooves die wirkungsvollen Klangbilder ganz wesentlich mit und scheint den mittlerweile 74-jährigen Tomasz Stanko in höchstem Maße zu beflügeln. Dieser hat „December Avenue“ übrigens dem polnischen Schriftsteller und NS-Opfer Bruno Schulz gewidmet, dessen eigenwillige Werke und unglaubliche Lebensgeschichte Tomasz Stanko schon lange beeindruckt und beeinflusst haben. Ein exzellentes Album!

(ECM/www.lotusrecords.at)