Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 11. Sep 2017 · CD-Tipp

Tim Berne’s Snakeoil: Incidentals

Auf Tim Berne ist Verlass, denn auch der Umstand, dass er mit seiner höchst erfolgreichen Band Snakeoil das bereits vierte Album seit 2012 präsentiert, bedeutet in musikalischer Hinsicht keineswegs ein zufriedenes Zurücklehnen. Vielmehr lotet er gemeinsam mit (Bass-)Klarinettist Oscar Noriega, Pianist und Elektroniker Matt Mitchell und Drummer/Perkussionist/Vibraphonist Ches Smith wieder lustvoll die Grenzen des Gerade-noch-Machbaren aus und schöpft aus dem ungemein reichhaltigen, in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungsschatz als kompromissloser Avantgardist, freilich ohne sich in der Klischeehaftigkeit des Unkonventionellen zu verlieren.

Auch E-Gitarrist Ryan Ferreira, der beim 2015-er Album „You’ve Been Watching Me“ erstmals die ohnehin schon reichhaltigen Sounds mit zusätzlichen Farben anreicherte, ist wieder mit dabei, und auch der eigentlich als Produzent agierende David Torn greift als Gast auf zwei Titeln in die Saiten. In den fünf zwischen siebeneinhalb und 26 Minuten langen Stücken geht es meist kraftvoll und hochenergetisch zur Sache. Mitunter entwickeln sie sich orkanartig und kulminieren in donnernder Ekstase, um unvermittelt lyrisch auszuklingen, sie können aber auch orgiastisch starten, als wollten sie den unsäglichen Donald aus dem Weißen Haus blasen, sich kurzfristig beruhigen, um dann enorm druckvoll eine fast unerträgliche Spannung aufzubauen. Die exzellenten Akteure liefern ganz großes Drama, das auch musikalisch Abgebrühten unter die Haut geht. Eine herausragende Rolle in diesem musikalischen Tollhaus nimmt Drummer Ches Smith ein, dem Tim Berne eine äußerst unkonventionelle Rolle zugedacht hat: „Viele Bands verwenden die Drums, um das Tempo zu bestimmen. Ich bin felsenfest der Meinung, dass das nicht passieren darf, weil es zu offensichtlich ist. Ches ist wirklich großartig darin, uns so lange wie möglich zu ignorieren, und je mehr Freiheiten man ihm gibt, desto interessanter wird die Spannung, die er aufbaut. Sehr oft wird man in unserer Band alle beim Spielen von Rhythmen finden, außer dem Drummer.“ Genauso hört es sich an, und genauso spannend ist es. Das lässt keinen kalt, hier spalten sich die Geister - und das war nie wertvoller als heute!

(ECM/www.lotusrecords.at)